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6. Kapitel - Nächtlicher Einbruch | CrayZ

  • Autorenbild: Tim J. R. Ufer
    Tim J. R. Ufer
  • 19. Juli 2021
  • 4 Min. Lesezeit

Mit gerunzelter Stirn schalte ich das Wasser ab.

»Nik‹‹, höre ich Claras Stimme von der anderen Seite der Tür aufgeregt flüstern, »Nik! Wir müssen los! Jetzt!‹‹

»Was ist denn los?‹‹, will ich wissen, mit dem einen Fuß bereits außerhalb der Duschwanne. Mit der rechten Hand strecke ich mich nach meinem Handtuch aus.

»Jemand steht vor der Haustür unten. Wir müssen sofort von hier verschwinden!‹‹ Etwas in Claras Stimme lässt mich mein Handtuch sofort vergessen. Hastig packe ich meine Klamotten und ziehe sie mir über die nasse Haut. Fluchend kämpfe ich mich mit meiner Jeanshose ab, die sich hartnäckig an meinen feuchten Beinen festgeklebt hat. Wie ein russischer Tanzbär springe ich umher und drehe wilde Pirouetten, während ich versuche, mir die Hose überzuziehen.

»Nik‹‹, meldet sich Clara erneut zu Wort. Auf einmal ganz leise, wie als habe sie ihr Gesicht an die Badtür gepresst. Die Panik in ihrer Stimme ist nicht mehr zu überhören. Im nächsten Moment ertönt vom anderen Ende der Wohnung her ein lauter, dumpfer Schlag, gefolgt von dem Geräusch von splitterndem Holz. Offensichtlich versucht gerade jemand, in Claras Wohnung einzubrechen. Selbst durch die Badtür kann ich Claras unkontrollierten, flachen Atem hören.

Fluchend und zappelnd öffne ich die Badtür, wobei ich mich nach wie vor mit meiner Hose abmühe. Clara steht direkt davor. In den Händen trägt sie unser Gepäck. Der Reißverschluss von ihrem Rucksack steht noch offen. Ihr Gesicht ist leichenblass.

»Durch das Fenster!‹‹, flüstert sie nur und drückt mir meinen Rucksack in die Hand. Dann dreht sie sich um und wir durchqueren so lautlos wie möglich das Wohnzimmer in Richtung Fenster. Im Vorbeigehen schnappe ich mir mein Samuraischwert, welches noch an meinem Schlafsofa lehnt und schnüre es mir eilig um die Hüfte.

Ein weiteres Mal erzittert die Wohnungstür unter einem mächtigen Schlag. Ich riskiere einen Blick zur Seite, wo sich die Tür etwa 10 Meter entfernt von uns befindet. Durch ein paar dünne Risse im Holz sickert bereits gelb das Flurlicht herein. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit!

Als wir endlich das Fenster erreicht haben, setzt Clara schnell ihren Rucksack ab und macht sich hastig an dem Fenstergriff zu schaffen. Wenige Handgriffe später schwingt die dicke Glasscheibe zur Seite und mit einem Mal schlägt uns die kalte Nachtluft entgegen.

»Du zuerst!‹‹, flüstere ich eindringlich und helfe Clara durch das Fenster. Glücklicherweise wohnt sie nur im ersten Stock. Hastig reiche ich ihr einen der Rucksäcke. Bevor sie springt, zögert sie noch einen Moment. Unsere Blicke treffen sich und ich kann die nackte Angst in ihren smaragdgrünen Augen funkeln sehen.

In diesem Moment bricht der Eindringling mit einem letzten, ohrenbetäubenden Krachen durch die Tür. Panisch blicke ich über meine Schulter. Im Türrahmen steht eine Gestalt. Pechschwarz hebt sie sich von dem hell erleuchteten Flur hinter ihr ab. Für einen Moment scheint die Zeit still zu stehen und mein Atem bleibt mir schmerzhaft in der Kehle stecken.

Dann kommt die Gestalt auf uns zu. Ihre Bewegungen sind seltsam mechanisch, auf keinen Fall menschlich. Es scheint beinahe so, als würde das Wesen über die dunklen Holzdielen schweben. Dabei geht der Atem der Gestalt so schwer und blechern, dass sie damit Darth Vader alle Ehre gemacht hätte. Das schrecklichste an der Erscheinung des nächtlichen Eindringlings sind allerdings die drei langen, schlauchartigen Arme, die aus seinem Körper ragen und gierig durch die Luft schlängeln.

»LOS!‹‹, rufe ich, nachdem ich mich endlich aus meiner Schockstarre gelöst habe und vergesse nun alle Vorsicht. Clara entfährt ein spitzer Schrei, als sie sich vom Fenstersims auf die Hecke vor dem Haus fallen lässt. Ohne nachzudenken, packe ich meinen Rucksack und hechte ihr kopfüber hinterher.

Eine Sekunde lang fühlt es sich so an als würde ich schweben. Dann bohren sich tausend kleine Dolche in jeden Zentimeter meines Körpers. Stöhnend vor Schmerz befreie ich mich aus dem wütenden Griff der Dornenhecke.

»Wer zum Teufel pflanzt denn bitte eine Dornenhecke vor seinem Haus?!‹‹, denke ich aufgebracht und nehme mir fest vor, Clara deswegen bei Gelegenheit zur Rede zu stellen.

Im Augenblick haben wir jedoch ganz andere Probleme. Über uns streckt die Gestalt zornig ihren Kopf durch das offene Fenster. Für einen Moment kann ich direkt in ihre kalten, schwarzen Augen blicken. Mir läuft ein Schauder über den Rücken. Die Augen der Gestalt wirken unmenschlich leblos und kalt. Überhaupt erscheint ihr Umriss ungewöhnlich schlank und kantig.

»Verdammt, Nik! Hier her!‹‹, ruft Clara hinter mir und ich höre einen Motor starten. Ohne meinen Blick von der Gestalt über mir loszureißen, stolpere ich nach hinten.

In diesem Moment springt unser Verfolger mit einem Zischen aufs Fenstersims und im nächsten Moment segelt er durch die Luft. Das Geräusch, welches er dabei von sich gibt, erinnert an den Öffnungsvorgang einer Cola-Dose. Nur um ein Vielfaches lauter.

Ein wenig ruppig, aber dennoch aufrecht, landet die Gestalt wenige Meter von mir Entfernt auf dem Asphalt. Verzweifelt drehe ich mich um und beginne zu rennen. Clara-Justine sitzt auf einem Motorrad. Ihren Rucksack hat sie sich vorne um ihren Bauch geschnallt und über ihre Schulter blickt sie sich ängstlich nach mir um. Das Knattern des Motors zerwühlt die kühle Nachtluft.

Hinter mir höre ich den apokalyptisch dröhnenden Atem meines Verfolgers. Dieser schnauft mittlerweile so heftig, dass es mich an ein uraltes Notebook mit verstopftem Lüfter erinnert, welches versucht, Minecraft zu starten. Doch trotz dessen holt die Gestalt rasend schnell auf!

Auf einmal spüre ich einen starken Luftzug, der sich in mein T-Shirt krallt und beginnt, mich nach hinten zu ziehen. Dazu liegt plötzlich der bittersüße Duft von Orangen in der Luft.

In diesem Moment erreiche ich Clara.

Mit einem gewagten Sprung hechte ich von hinten aufs Motorrad und schlinge meine Arme um ihre Taille. Augenblicklich drückt sie das Gas durch. Ächzend und quietschend drehen die Reifen kurz durch, eine Sekunde später schießen wir durch die eiskalte Nacht.

Noch immer wage ich es nicht, mich umzuschauen. Vor Angst und Kälte wie erstarrt, klammere ich mich an Clara-Justine, während wir mit über 200 Stundenkilometern durch die menschenleeren Straßen heizen.

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