26. Kapitel - Das Schwarze Loch | CrayZ
- Tim J. R. Ufer

- 19. Juli 2021
- 8 Min. Lesezeit
Mein Kopf fühlt sich so an, als hätte ihn jemand in eine Schwarze Röhre gesteckt und würde nun auf diesem Rohr herumhämmern, wie ein geistesgestörter Urwaldzyklop. Um mich herum herrscht nichts als Finsternis.
Ich kann nicht mehr sagen, wo oben oder wo unten ist. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob es überhaupt noch ein oben und ein unten gibt. Alles ist schwerelos und doch unheimlich bedrückend. So als würde ich in einer engen Kapsel feststecken, welche durch die Weiten des Weltalls driftet. Ich versuche, einen klaren Gedanken zu fassen. Mich an irgendetwas zu erinnern.
Warum bin ich eigentlich hier?
Doch mein Gehirn versagt mir den Dienst. Alles dreht sich und steht still zugleich. Dann falle ich an die Decke. Und höre den Fischen beim Atmen zu.
Ich bin ein Salamander!
»Was zur Hölle war das?‹‹, stöhnt plötzlich eine vertraute Stimme neben mir und ich erwache aus meiner Trance, »Das war ja schlimmer als mein heftigster Sumpfschnaps-Trip!‹‹
»Ich dachte, ich sei eine Bachforelle‹‹, erwidert Torben fassungslos, »Ich konnte im Wasser atmen!‹‹
»Der wissenschaftliche Begriff dafür ist floaten‹‹, erklärt Claras Mutter, »Es ist wie eine Art Traumreise, in der man sich befindet, wenn man durch das Portal ins Schwarze Loch steigt. Dieser Zustand bewahrt euch davor, während der Überquerung des Ereignishorizonts den Verstand zu verlieren.‹‹
»Ich glaube, bei mir hat‘s nicht funktioniert‹‹, meint Thorsten, während er sich ächzend aufrappelt.
»Das liegt daran, dass du schon vorher keinen Verstand mehr hattest‹‹, entgegnet Torben grinsend und verpasst seinem Bruder einen Klaps auf den Hinterkopf.
»Nein. Wenn es bei Thorsten nicht funktioniert hätte, sähe das anders aus. Glaubt mir‹‹, sagt Sophie ernst. Torben blickt betreten zu Boden und Thorsten wirkt zumindest ein wenig erleichtert.
»Wo sind wir hier überhaupt?‹‹, stellt Clara schließlich die entscheidende Frage. Zu meinem großen Unbehagen kenne ich die Antwort. Zumindest teilweise.
»Das ist der Thronsaal von Hannibal Bond‹‹, sage ich, während ich mich langsam umblicke.
Ohne Zweifel: Wir befinden uns in dem riesigen, festlich geschmückten Saal, in dem ich mich schon in meinem ersten Albtraum befunden habe. Hier habe ich Bond zum ersten Mal gesehen. In gewisser Weise hat an diesem Ort alles begonnen, denn auch hier habe ich mich damals mit dem Passwort durch das unvollständige Portal gestürzt und meine Erinnerungen geopfert, um Hannibal Bond und seine Armee hier drinnen einzusperren.
»Wo ist Santa Klaus?‹‹, fragt Thorsten, der noch immer etwas wackelig auf den Beinen steht, aber einen entschlossenen Eindruck macht.
»Er kann noch nicht weit sein, wir sind gleich hinter ihm durch das Portal gesprungen‹‹, meint Clara nachdenklich, »Wir müssen ihn einholen, bevor er das Gebäude verlässt.‹‹
»Dann mal los!‹‹, sage ich sofort und steuere im Schnellschritt auf die schwere Flügeltür am anderen Ende des Saales zu. Je schneller ich diesen Ort verlassen kann, desto besser. Clara, Sophie, Thorsten und Torben folgen mir dicht auf den Fersen.
»Wo lang jetzt?‹‹, fragt Torben, nachdem wir aus dem Saal getreten sind und uns jetzt auf einem langgezogenen Korridor befinden.
»Rechts halten bis zu dem Teppich mit dem haarigen Nacktmull drauf. Dort befindet sich ein Geheimgang, der direkt zur großen Eingangshalle führt‹‹, meldet sich Sophie zu Wort, »Auf diese Weise sollten wir vor Santa Klaus am Eingangstor sein.‹‹
Verblüfft blicken Thorsten, Torben und ich Claras Mutter an. Erst jetzt wird mir bewusst, dass diese Frau immerhin mehrere Jahre hier gefangen gehalten wurde. Kein Wunder, dass sie ein paar Geheimnisse über diese Festung kennt.
»So machen wir es‹‹, sage ich schließlich und verleihe meiner Anerkennung durch ein kurzes Kopfnicken Ausdruck, »Am besten du gehst voraus.‹‹
Sophie nickt und läuft los. Wenig später halten wir bei besagtem Teppich an und Claras Mutter zieht den dicken Stoff zur Seite, sodass sich uns der Eingang zu einem dunklen und schmalen Tunnel offenbart. Ohne zu zögern, schlüpfe ich mit dem Kopf voran hinein und krieche vorwärts.
Schon bald schmerzen meine Hände von der rauen, unbearbeiteten Oberfläche des Tunnels, doch ich beiße die Zähne zusammen und robbe weiter. Die Luft in dem Schacht ist abgestanden und stickig. Bei jedem Atemzug fühlt es sich so an, als müsse ich den Sauerstoff entgegen einer unsichtbaren Kraft in meine Lungenflügel saugen. Die Minuten vergehen quälend langsam. Bis meine Hände endlich ein weiteres Mal gegen Stoff stoßen!
Froh, diesem engen Tunnel endlich zu entkommen, krieche ich noch ein Stück weiter, sodass ich auch mit meinem Kopf den Stoff berühre und ziehe anschließend den Teppich ein Stück weit zur Seite. Vorsichtig luge ich nach draußen.
»Was siehst du da vorne?‹‹, flüstert Thorsten gespannt.
»Wir befinden uns direkt in der Eingangshalle‹‹, entgegne ich zögernd, »Ist aber niemand zu sehen. Oder doch … halt, da kommt jemand!‹‹
Schnell ziehe ich meinen Kopf zurück in den Tunnel und lasse den Teppich wieder an seinen Platz gleiten. Ich bin dabei allerdings so in Eile, dass ich den Stoff zu früh loslasse. Bedrohlich schwankt der Teppich vor der Wand hin und her.
Mit angehaltenem Atem sitzen wir zusammengekauert in der Dunkelheit und beten, dass wir nicht entdeckt werden. Die Sekunden ziehen sich endlos dahin, während ich mit meinen Ohren angestrengt auf das leiseste Zeichen darauf lausche, ob jemand das seltsame Verhalten des Wandteppichs bemerkt hat. Doch ich höre nur die schweren Schritte, die mich zuvor schon alarmiert haben.
»Klingt ganz so, als hätte wir es nur mit einer Person zu tun. Vielleicht ist es Santa Klaus‹‹, versuche ich den Klang der dumpfen Schläge auf dem Hallenboden zu deuten, »Das wäre jetzt unsere Gelegenheit, ihn zu stoppen!‹‹
»Worauf warten wir dann noch?‹‹, meint Clara grimmig, »Schnappen wir uns den Dreckskerl!‹‹
»Einverstanden‹‹, sage ich und nehme noch einen tiefen Atemzug. Dann greife ich mit meiner linken Hand nach vorne und reiße den Wandteppich so heftig zur Seite, dass er sich aus seiner Verankerung löst und dumpf zu Boden fällt. Gleichzeitig versuche ich, so schnell wie möglich aus dem engen Tunnelloch herauszukriechen, wobei ich allerdings einiges an Eleganz einbüße.
Ächzend und stöhnend krabbele ich mit dem Oberkörper voran aus der Wand, schiebe die Beine etwas zu hastig nach und schlage daraufhin unfreiwillig einen Purzelbaum. Mein Schwert rutscht mir dabei aus der Hand und schlägt klappernd auf dem Hallenboden auf. Ich selbst lande unbeholfen auf meinem Hintern.
Santa Klaus hält kurz vor dem Ausgang abrupt an und dreht sich um. Für einen kleinen Augenblick scheint er ziemlich verdutzt darüber, mich aus einer Wand plumpsen zu sehen. Dann verfällt er in ein dröhnendes Lachen.
»Hohohohoho!‹‹, grölt der dicke Mann in seinem roten Kostüm und schüttelt sich am ganzen Körper vor Vergnügen, »Der kleine John… immer drauf und dran, die Welt zu retten!‹‹
Hinter mir purzeln nacheinander meine Freunde aus dem Loch in der Wand. Auch sie stellen sich nicht unbedingt geschickter an als ich.
Santa Klaus scheint sich derweilen prächtig zu amüsieren. Er lacht so laut und schallend, dass ihm dabei lange, unappetitliche Spuckefäden aus dem Mund fliegen. Angewidert verziehe ich das Gesicht, während ich mir den Staub von den Kleidern klopfe, mein Schwert vom Boden klaube und aufstehe. Wenige Sekunden später haben Clara, Sophie, Thorsten, Torben und ich den fetten Mann umzingelt. Dieser scheint nun endlich zu begreifen, dass wir es ernst meinen.
»Ihr wollt es also wirklich wissen‹‹, blafft uns Santa Klaus plötzlich an. Der drohende Unterton in seiner Stimme folgt so unerwartet auf seine eben noch unerschütterliche Heiterkeit, dass ich unwillkürlich zusammenzucke. Der Weihnachtsmann greift in eine der tiefen Falten seines Mantels und zieht ein schweres Maschinengewehr heraus. Meine Hände werden augenblicklich schweißnass um den Griff meines Schwertes.
»Keine Angst, ich schieß euch nicht einfach so über den Haufen, wie ich es mit einem Haufen räudiger Köter machen würde‹‹, meint Santa Klaus in einem besänftigenden Tonfall und lässt das Gewehr neben sich auf den Boden fallen, »Ihr spioniert mir nach und das ist nicht brav, soviel ist sicher. Und ungezogene Kinder muss man bestrafen.‹‹
Bei diesen Worten zieht er eine lange, aus rabenschwarzem Ebenholz gefertigte Rute aus seinem Mantel. Der Stock misst etwa zwei Armlängen und ist dick wie ein Speerschaft. Das obere Ende der Rute ist mit tiefen Macken und Einkerbungen übersät und hier und da meine ich in dem Licht der Kronleuchter sogar etwas getrocknetes Blut daran zu erkennen.
»Na, Kinder? Wer von euch war brav dieses Jahr?‹‹, fragt Santa Klaus mit einem hämischen Grinsen und lässt seinen schweren Stab pfeifend durch die Luft kreisen.
»Ich muss gestehen…‹‹, lenkt Clara die Aufmerksamkeit des Weihnachtsmanns auf sich, »Ich bin ein böses Mädchen.‹‹
Dabei funkeln ihre Augen verführerisch. Sie wirft sich in einer übertrieben ausladenden Geste die Haare in den Nacken und fährt sich langsam mit der Zunge über die Lippen.
»Ach, wenn das so ist‹‹, murmelt Santa Klaus andächtig und lässt wie in Trance seine Rute sinken.
Rückblickend betrachtet wäre es sicherlich ein geniales Ablenkungsmanöver von Clara gewesen, hätte es Thorsten, Torben und mich nicht genauso außer Gefecht gesetzt, wie den fetten, notgeilen Mann mit der roten Zipfelmütze auf dem Kopf. Während mein Gehirn mir zu beweisen versucht, wie wundervoll bildhaft meine eigenen Fantasien sein können, läuft mir das Wasser im Mund zusammen.
»Autsch!‹‹, entfährt es mir plötzlich und ich reibe mir die schmerzende Schulter.
»Das ist meine Tochter, du Idiot!‹‹, zischt Sophie und blickt mich finster an.
Hastig schlucke ich meine schmutzigen Fantasien hinunter, murmele eine undeutliche Entschuldigung und stürze nach vorne, um dem Weihnachtsmann mein Schwert in den Rücken zu stoßen. Leider kommt in diesem Moment auch er wieder zur Besinnung.
Schneller als ich es dem Alten jemals zugetraut hätte, wirbelt Santa Klaus herum und pariert meinen Schlag mit seiner Rute.
»Bin gleich bei dir, meine Süße!‹‹, ruft der dicke Mann noch über die Schulter, bevor er sich breitbeinig vor mir aufbaut, »Jetzt bist du dran, Bürschchen!‹‹
Santa Klaus hebt seine schwere Rute über den Kopf und lässt sie pfeifend auf mich herabsausen. Da es zu spät für ein Ausweichmanöver ist, hebe ich blitzschnell meine Klinge. Der Aufprall des Hiebes ist so heftig, dass meine Arme einknicken und ich mir mit der breiten Seite meines Schwertes selbst ins Gesicht schlage.
Für einen kurzen Moment sehe ich Sterne. Schwankend taumele ich unbeholfen ein paar Schritte rückwärts. Der Weihnachtsmann funkelt mich böse an und hebt triumphierend seine Waffe für den entscheidenden Schlag. Hilflos stehe ich da, Ryu Kasai nutzlos in meiner rechten Hand, und warte auf das Ende.
Doch in diesem Augenblick zuckt Santa Klaus plötzlich zusammen und verzieht das Gesicht zu einer Grimasse. Torben hat sich von der Seite an ihn herangeschlichen und versetzt dem Mann einen heftigen Hieb gegen seine rechte Kniescheibe. Clara nutzt währenddessen die Gelegenheit und zielt auf seinen Arm. Verdutzt sieht Santa Klaus dabei zu, wie seine eigenen Gliedmaßen ihren Dienst quittieren. Klappernd fällt seine schwere Rute zu Boden und gleich darauf folgt auch der Weihnachtsmann selbst.
»Die Jugend heutzutage ist auch nicht mehr das, was sie einmal war. Kein Respekt mehr!‹‹, stöhnt Santa Klaus wütend und hält sich den schmerzenden Arm. Dabei rollt er sich auf die Seite, um sein zertrümmertes Knie zu entlasten.
»Glaubt ja nicht, dass ihr dieses Jahr noch Geschenke von mir bekommt!‹‹
»Damit kann ich leben‹‹, sage ich grimmig und baue mich mit erhobenem Schwert vor dem Übeltäter auf. Torben, Thorsten, Clara und Sophie gesellen sich neben mich.
»Was machen wir jetzt mit ihm?‹‹, fragt Thorsten.
»Fesseln und knebeln fürs Erste‹‹, entgegne ich und mache mich daran, dem Weihnachtsmann seinen Gürtel auszuziehen, »Kommt schon, helft mir mal.‹‹
Torben bückt sich, um mir bei meiner Arbeit behilflich zu sein, da ertönen auf einmal Schüsse gedämpft durch das verschlossene Tor der Eingangshalle. Gleich darauf vernehme ich erstickte Schreie und eine tiefe, männliche Stimme, die wütende Befehle brüllt.
»Was ist da draußen los?‹‹, fragt Clara-Justine verwirrt.
»Das muss ein Angriff der Rebellen sein!‹‹, erwidert Sophie aufgeregt, »Sie haben wahrscheinlich Wind davon bekommen, dass Hannibal Bond es irgendwie wieder geschafft hat, das Tor zu öffnen.‹‹
»Dann sind sie hier, um es zu zerstören‹‹, führe ich Sophies Gedanken weiter, »Aber vielleicht können wir sie dazu bringen, vorher uns noch dabei zu helfen, Bond ein für alle Mal zu erledigen!‹‹
Mit diesen Worten durchquere ich zielstrebig die große Eingangshalle in Richtung der mächtigen Flügeltür, welche nach draußen führt. Meine Freunde folgen dicht hinter mir.
Den Weihnachtsmann lassen wir einfach liegen. Er ist sowieso noch viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um irgendwelche Dummheiten anzustellen. Trotzdem nehme ich sicherheitshalber das Maschinengewehr an mich, welches immer noch einige Meter weiter auf dem Boden liegt.
Meine Muskeln zittern vor Anstrengung als ich das schwere Eingangstor einen Spaltbreit öffne. Ein sengender Schmerz in meinem Rücken erinnert mich daran, dass mein Körper noch immer meine tödliche Verletzung als Drache verarbeitet.
Mit zusammengebissenen Zähnen ziehe ich noch ein Stückchen weiter, bis der Spalt in der Tür groß genug ist, dass ich meinen Kopf hinausstrecken kann. Vorsichtig werfe ich einen Blick nach draußen.
Was ich dort sehe, kommt dem Begriff Chaos nicht einmal nahe.

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