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5. Kapitel - Ich mache ein paar unangenehme Bekanntschaften | CrayZ

  • Autorenbild: Tim J. R. Ufer
    Tim J. R. Ufer
  • 19. Juli 2021
  • 5 Min. Lesezeit

Ich stehe in einer großen, hell erleuchteten Halle. Ein gigantischer Kronleuchter aus purem Gold hängt von der Decke und sein warmes Licht dringt in jedes noch so kleines Eck des prachtvollen Saals. Die Wände sind geschmückt mit sündhaft teuren Wandteppichen und der Boden unter meinen Füßen ist aus reinem, schwarzen Marmor. Verwirrt blicke ich mich um.

Was ist das hier für ein Ort?

Ganz hinten am anderen Ende der Festhalle türmt sich ein mächtiger Thron auf. Er glänzt in einem stählernen Silber und von hier hinten scheint es so, als bestünde der Thron aus tausenden zusammengeschweißten Schwertern.

In diesem Moment explodiert eines der riesigen Glasfenster direkt neben mir und ein fliegender Schlitten gezogen von einer Herde Rentiere rauscht in den Saal.

»Ho, ho, ho!‹‹, ruft ein fetter, bärtiger Typ in rotem Kostüm von dem Schlitten herunter und schwenkt dabei ein Maschinengewehr über seinem Kopf. Verdattert starre ich ihn an, während der Mann in seinem Schlitten an mir vorbei saust. Als der Dicke und ich etwa auf einer Höhe sind, zuckt seine Hand kurz nach unten, packt eine weiße Kugel und schleudert sie blitzschnell auf mich. Im nächsten Moment stolpere ich überrascht nach hinten. Der Schneeball hat mich genau ins Gesicht getroffen.

Der bärtige Mann bricht in ein schallendes Gelächter aus und seine Rentiere durchbrechen die Glasfront auf der anderen Seite des Saals wieder. Im nächsten Moment ist der Typ mitsamt Schlitten auch schon wieder verschwunden. Verdattert und ein wenig wütend wische ich mir den kalten Schneematsch aus dem Gesicht. Was für ein Spiel wird hier mit mir gespielt?

»Tut mir schrecklich leid, Nik. Klaus kann ab und zu etwas stürmisch sein‹‹, höre ich plötzlich eine weitere Stimme, direkt hinter mir. Blitzschnell wirbele ich herum, bereit mich gegen weitere Kamikaze-Weihnachtsmänner zu verteidigen.

»Nur die Ruhe, mein Junge. Ich tu dir nichts‹‹, meint der Mann vor mir und hebt beschwichtigend die Hände. Er ist mittleren Alters, groß, schlank und trägt einen maßgeschneiderten Anzug. Sein scharfer, berechnender Blick erinnert mich sofort an den eines Adlers, der seine Beute beäugt. Seine kurzen, zurückgegelten braunen Haare lassen den Mann seriös wirken. Insgesamt macht er einen vernünftigen Eindruck auf mich. Zumindest vernünftiger als der Schlittenopa, der eben durch den Saal geflogen kam.

»Wer bist du?‹‹, will ich wissen. Misstrauisch beobachte ich den Mann, während er noch einen vorsichtigen Schritt auf mich zu macht.

»Mein Name ist Bond‹‹, antwortet der Anzugträger verheißungsvoll, »Hannibal Bond.‹‹ Mehr sagt er nicht. Offensichtlich geht er davon aus, dass damit alles Wichtige gesagt ist.

»Wo bin ich hier?‹‹, frage ich die zweite Frage, die groß und fett an der Leinwand meines inneren Auges geschrieben steht.

»Du bist nirgends‹‹, antwortet der Mann namens Hannibal abrupt. »Und überall zugleich!‹‹, fügt er schnell hinzu. Dabei stiehlt sich ein geheimnisvolles Lächeln auf sein Gesicht.

»Toll!‹‹, denke ich, „Noch mehr Geheimnisse.”

In diesem Moment wird das Lächeln des Mannes vor mir immer breiter und breiter. Der Saal scheint in sich zusammenzufallen, während der Anzugträger plötzlich unangenehm nahe an mich herantritt. Unter seinen schmalen Lippen kommen zwei Reihen kleiner, spitzer Reißzähne zum Vorschein. Das Grinsen des Mannes verwandelt sich vor meinen Augen in eine hässliche Fratze!

Im nächsten Augenblick wird alles dunkel um uns herum. Ich beginne zu schreien, während sich die schreckliche Kreatur auf mich stürzt.

»Elender Verräter!‹‹, schreit der Mann, doch seine Stimme klingt nicht mehr menschlich, »Ich werde dich holen kommen! Und dann werde ich dich höchstpersönlich töten!‹‹

Das grauenhafte Monster packt mich. Wie Schraubstöcke graben sich seine klauenartigen Finger tief in meine Schultern. Im nächsten Moment öffnet die Kreatur ihr Maul, um mich zu zerfleischen!



Schweißgebadet erwache ich. Ich liege auf dem Sofa in Claras Wohnzimmer. Mein Herz pocht so laut, dass ich fürchte, es könnte mir aus dem Brustkorb springen. Um mich herum ist es rabenschwarz.

Außer meinem eigenen Herzschlag ist nur das unablässige Ticken der Uhr zu hören, die an der gegenüberliegenden Wand des Raumes hängt. Für einige Sekunden sitze ich schwer atmend da und starre in die Finsternis.

Die Fratze des furchterregenden Anzugträgers hat sich wie ein Feuersiegel auf meine Netzhaut gebrannt. Jedes schemenhafte Möbelstück, ja sogar die dunklen Umrisse des Esstischs gegenüber von meinem Schlafsofa wirken auf mich wie die Gestalt des schrecklichen Anzugträgers aus meinem Traum.

In diesem Moment öffnet sich die Tür am anderen Ende des Raumes einen Spalt breit und Clara lugt vorsichtig herein.

»Hey Nik. Ist alles in Ordnung bei dir?‹‹, flüstert sie. Als sie sieht, dass ich wach bin, schlüpft sie ins Zimmer.

»Nur ein Albtraum‹‹, antworte ich und reibe mir die Augen.

»Erzähl mir davon‹‹, meint Clara-Justine als sie das Sofa erreicht hat und setzt sich behutsam neben mich. In dem schwachen Licht, das durch das einzige Fenster im Zimmer eindringt, kann ich sie kaum erkennen.

Ich erzähle ihr von meinem Traum. Als ich geendet habe, schweigen wir beide einige Augenblicke lang. Clara steht auf und holt uns beiden ein Glas mit frischem Wasser. Dankbar nehme ich an und trinke in großen Schlucken. Die kalte Flüssigkeit rinnt angenehm meine Kehle hinab.

»Ich denke, dein Traum könnte vielleicht eine tiefere Bedeutung haben. Vielleicht hat er etwas mit dem Grund zu tun, weswegen du dein Gedächtnis verloren hast‹‹, meint Clara schließlich, nachdem wir beide ausgetrunken haben.

Ich nicke: »Ja, das habe ich mir auch schon gedacht.‹‹

»Wir sollten der roten Linie auf deiner Karte folgen‹‹, sagt Clara-Justine ernst, »Vermutlich ist es der einzige Ort, an dem du eine Antwort auf all das finden kannst.‹‹

»Wir?‹‹, frage ich verwundert, »Ich dachte, du findest die Reise viel zu gefährlich?‹‹

»Naja, wenn du schon dahin musst, dann gehe ich auf jeden Fall mit dir. Hier in der Stadt ist sowieso nie was los und arbeiten muss ich auch nicht‹‹, antwortet Clara schulterzuckend.

Als sie meinen fragenden Blick sieht fügt sie noch hinzu: »Mein Vater ist ziemlich reich, in unserer Familie muss für die nächsten paar Generationen keiner mehr arbeiten.‹‹

Ich nicke gedankenverloren. Irgendwie finde ich reine Langeweile einen ziemlich laschen Grund, um für eine solch gefährliche Reise sein Leben zu riskieren. Andererseits möchte ich auch nur ungern allein losziehen. Und ich kann mir beim besten Willen keinen besseren Weggefährten vorstellen als das bildhübsche Mädchen, welches da gerade vor mir in der Dunkelheit sitzt.

»Danke‹‹, sage ich schließlich und meine es so. Bei dem Gedanken, das alles nicht alleine durchstehen zu müssen, wird mir spürbar leichter ums Herz.

»Ich packe schonmal meine Sachen‹‹, meint Clara nur und wirft einen Blick auf die Wanduhr, »Es wird sowieso bald hell. Wenn du willst, kannst du so lange noch ein Bad nehmen.‹‹ Sie sieht mich schon wieder mit diesem Blick an, als könne sie durch meine Augen hindurch direkt in meine Seele schauen.

Ich nicke: »Ja, das klingt gut.‹‹

Clara führt mich zum Badezimmer und gibt mir ein frisches Handtuch. Dann wendet sie sich ab und geht zurück in ihr Schlafzimmer. Ich ertappe mich dabei, wie ich in der Badtür stehen bleibe, um ihr hinterher zu schauen. Seufzend betrete ich das Badezimmer und schließe die Tür hinter mir.


Wenige Sekunden später prasselt bereits das angenehm heiße Wasser von oben auf meinen Kopf. Wie in Trance räkele ich mich unter dem heißen Strahl, um auch ja jeden noch so kleinen Tropfen abzubekommen. Ich schließe die Augen und das Wasser läuft sanft über mein Gesicht. Umschließt meine Nase und meine Ohren und sickert durch mein Haar. Mir läuft ein Freudenschauer über den Rücken. Ich habe wohl auch vergessen, wie gut sich eine heiße Dusche anfühlen kann. Zufrieden summe ich etwas vor mich hin, während ich den Duschkopf über meinen Körper schwenke.

Dann höre ich plötzlich ein dumpfes Klopfen an der Badtür. Die Schläge ertönen schnell hintereinander und drängend. Irgendetwas stimmt nicht.

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