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25. Kapitel - Hannibal Bond | CrayZ

  • Autorenbild: Tim J. R. Ufer
    Tim J. R. Ufer
  • 19. Juli 2021
  • 8 Min. Lesezeit

Auf einmal liege ich auf dem Boden. Schmecke mein eigenes Blut auf der Zunge. Noch immer ist da dieser gleißende Schmerz in meinem Rücken, doch ich schaffe es, mich stöhnend aufzurichten. In meiner rechten Hand spüre ich den warmen Ledergriff meines Schwertes. Grobe, starke Hände packen mich an den Schultern und ziehen mich endgültig auf die Beine. Benommen stehe ich auf meinen wackligen Beinen und sehe in die hasserfüllten Augen der schwarzen Gestalt vor mir. Die Person mustert mich für einen kurzen Moment, dann lockert sie ihren Griff und schubst mich unsanft nach hinten. Kurz bevor mein Hinterkopf auf dem nassen Gestein aufschlägt, spüre ich schützende Hände unter mir, die mich auffangen. Verwirrt blicke ich nach oben und sehe in tiefgrüne Augen.

»Das war‘s dann wohl‹‹, murmele ich kraftlos.

»Vergiss es, Nik! Du lässt uns jetzt nicht allein! Noch sind wir nicht tot‹‹, entgegnet Clara streng, während sie mich mühsam zu Thorsten schleift. Er sieht mindestens genauso beschissen aus, wie ich mich fühle. Torben kniet noch immer schützend über ihm, den Spaten zitternd erhoben.

Da wären wir also. Blutend und zusammengekauert inmitten eines Reigens schwarzer Gestalten, die uns nach dem Leben trachten. Jetzt erkenne ich auch ihren Anführer.

Hannibal Bond trägt unter seinem schwarzen Regenponcho noch immer seinen Maßanzug. Sein Blick ist wie immer kalt und berechnend, doch über sein Gesicht zieht sich ein hämisches Grinsen, wodurch er seine hässlichen Reißzähne preisgibt. Hinter ihm ragt die schattenhafte Gestalt von Rudys Kampfroboter auf, der noch immer den mächtigen Eisenspeer umklammert hält. Die Spitze des Speers ist blutrot.

»John‹‹, grüßt mich das Monster aus meinen Albträumen überschwänglich wie einen alten Freund, „Ich muss mich zutiefst bei dir bedanken! Du hast uns die Flucht ermöglicht! Nach all den Jahren, in denen wir versucht haben, aus dem Schwarzen Loch zu entkommen, hatte ich die Hoffnung schon fast aufgegeben. Aber dank dir…“

»Hör nicht auf ihn, Nik!‹‹, flüstert Clara mir eindringlich ins Ohr, »Es ist nicht deine Schuld!‹‹

»Nein, sicherlich wäre es verkehrt, nur John die Lorbeeren für alles zu geben‹‹, bestätigt Bond ernst, »Ohne deine Hilfe wäre es wohl nie so weit gekommen. Deshalb…‹‹ Hannibal Bond macht eine spannungsreiche Pause: »Sollst du nun auch deine reichlich verdiente Belohnung erhalten, Mädchen!‹‹ Mit diesen Worten gibt er mit seiner rechten Hand ein Zeichen und im nächsten Moment rauscht ein fetter, bärtiger Typ in einem purpurroten Kostüm in einem fliegenden Schlitten herbei. Das Gefährt wird von einer Gruppe Rentiere gezogen, die wiehernd und blökend durch die Luft galoppieren.

»Ho ho ho, ihr Lappen!‹‹, ruft der dicke Mann und zerrt an seinen Zügeln. Die Rentiere halten abrupt an und der gesamte Schlitten kommt quietschend zum Stehen. Mit sichtlicher Mühe erhebt sich Santa Klaus von seinem Sitzplatz. Erst jetzt entdecke ich die zweite Person im Schlitten. Claras Mutter ist gefesselt und geknebelt und sieht so abgemagert aus, als habe sie seit Monaten keine anständige Mahlzeit mehr gehabt.

»Mum!‹‹, ruft Clara fassungslos und lässt alle Vorsicht fahren. Sie stößt die schwarzen Gestalten vor sich unsanft zur Seite und stürmt auf den Rentierschlitten zu. Der Weihnachtsmann ist bereits ausgestiegen und hilft gerade seiner Gefangenen aus dem Wagen. Clara drängt sich an ihm vorbei und schlingt schluchzend die Arme um ihre Mutter. Aufgrund der Fesseln ist es eine sehr einseitige Umarmung, doch ich kann sehen, dass Claras Mutter Tränen in den Augen hat. Vermutlich hat keine von beiden damit gerechnet, die jeweils andere noch einmal lebend wiederzusehen. Für einen kurzen Augenblick bin ich froh, den Tempel nicht zum Einsturz gebracht zu haben.

»Damit wäre mein Teil der Abmachung erfüllt‹‹, meint Hannibal Bond, der sichtlich mit sich zufrieden zu sein scheint, »Aber nun haben wir Wichtigeres zu erledigen. Männer, tötet sie kurz und schmerzlos. Wir haben viel Arbeit vor uns!‹‹

»Geht klar, Boss!‹‹, erwidert der Mann, der mich vorhin geschubst hat. Auf seiner Miene ist keine Spur von Mitleid zu erkennen. Clara klammert sich erschrocken an ihre Mutter und zerrt sie außer Reichweite der zwei schwarzen Gestalten, die direkt neben ihr stehen.

»Du Monster!‹‹, brüllt sie Hannibal Bond wütend an, »Ich bring dich um!‹‹ Doch der Mann in dem Anzug lächelt nur.

»Im nächsten Leben vielleicht, meine Süße‹‹, erwidert er honigsüß und bedeutet seinen Männern mit einem Kopfnicken fortzufahren. Stöhnend setze ich mich auf und umklammere den Griff meines Drachenschwertes fester. Tief in mir weiß ich, dass ich viel zu schwach bin, um zu kämpfen. Obwohl die Wunde des Drachens sich scheinbar nicht auf meinen eigenen Körper übertragen hat, fühle ich die Phantomschmerzen in meinem Rücken so heftig als stecke der schwere Eisenspeer noch immer in meinem Körper.

Die Männer kommen näher. Heben ihre Schwerter, um das Massaker zu beenden. Ich kann bereits das kalte Metall auf meinem Nacken spüren. Zitternd kauere ich mich zusammen und schließe die Augen. Bereit, mich meinem Schicksal zu stellen.

In diesem Moment bricht die Wolkendecke über uns auf und ein heller Sonnenstrahl fällt auf mein Gesicht. Der Regen hat aufgehört. Der Sturm ist verstummt. An seiner Stelle säuselt nur noch ein sanfter Windhauch um mein Gesicht.

Aber halt: Wenn der Sturm aufgehört hat… was verursacht dann dieses Rauschen?

Verwirrt blicke ich über mich. Erst blendet mich das Licht der Sonne so sehr, dass ich nichts erkennen kann. Doch dann…

WUUUSCH!

Einer der schwarz verhüllten Männer schreit entsetzt auf, als er plötzlich von schweren Klauenfüßen gepackt und in die Luft gehoben wird. Verdutzt starren die anderen Gestalten ihrem Mitstreiter hinterher, der sich bereits nach wenigen Sekunden dutzende Meter über dem Erdboden befindet. Der Mann fuchtelt verzweifelt mit den Armen und versucht sich aus dem eisernen Griff des Riesenadlers zu befreien. Das gelingt ihm dann auch. Er hat genau 1,84 Sekunden Zeit, um seinen Etappensieg zu feiern. Dann wird er von dem Aufprall zerfetzt.

Für einen kurzen Augenblick herrscht totenstille unter den Versammelten. Die schwarz gekleideten Gestalten blicken wie gebannt auf die Überreste ihres Freundes, während über ihren Köpfen der mächtige Riesenadler einen gellenden Triumphschrei ausstößt.

Rudy erholt sich als Erster von seinem Schrecken. Wütend ruft er seinem Kampfroboter einige Sprachbefehle zu, welcher daraufhin seinen mächtigen Stahlspeer hebt, um ihn nach dem Riesenadler zu werfen.

Dazu kommt es allerdings nicht, denn nun zerfetzt ein weiteres Geräusch die kalte Stille im Tal.

BURUUUUUUUU! BURUUUUUUU!

Sichtlich irritiert blicken die schwarzen Gestalten sich um. Uns haben sie in der Zwischenzeit komplett vergessen. Selbst Bond scheint nun zum ersten Mal nicht mehr Herr der Lage zu sein.

»Was ist das?‹‹, faucht er seine Gefolgsleute wütend an.

»Das ist der Klang des Sumpfhorns‹‹, flüstert Torben aufgeregt, »Die Moorsoldaten kommen uns zur Hilfe!‹‹

Und tatsächlich: Am Rande des Tals, dort wo sich noch die Überreste des SCHREDDERS befinden, erscheint die Armee der Moorhexe auf der Spitze des Hügels. Die Hexe selbst sitzt auf dem Rücken des mächtigen Gorillas Bruno und ihr spitzer Hut ragt so weit in die Höhe, dass man fast meinen könnte, er müsse jederzeit Feuer fangen, weil er sich so nah an der Sonne befindet. Neben ihr erkenne ich den Tintenfischling Henry, meinen Lieblingsstorch Nils und noch einige weitere Moorsoldaten, die Clara und ich während unserer Zeit auf der Schlammigen Festung kennengelernt haben.

BURUUUUUUU! BURUUUUUUU!

Erneut schallt das Sumpfhorn über die Ebene. Hannibal Bond stapft zu Santa Klaus herüber und flüstert ihm eindringlich etwas ins Ohr. Die schwarzen Gestalten und die anderen Kreaturen, die noch von Bonds erstem Stoßtrupp übriggeblieben sind, haben sich um ihren Anführer versammelt und starren allesamt gebannt nach vorne zu den Reihen ihrer Feinde. Santa Klaus nickt schließlich, macht auf dem Absatz kehrt und schwingt sich auf seinen Schlitten. Dann lässt er seine Peitsche knallen und die Rentiere setzen sich aufgeregt blökend in Bewegung. Das Gefährt schlittert noch einige Meter unsanft über den Steinboden, bevor es sich rauschend in die Lüfte erhebt. Dort wendet es und fliegt geradewegs zurück in Richtung des Schwarzen Tempels.

»Nik, er holt bestimmt Verstärkung! Wir müssen das verhindern!‹‹, flüstert Torben leise genug, dass Bond und seine Männer ihn nicht hören können.

»Ich weiß‹‹, sage ich und schaffe es mühsam auf die Beine zu kommen. Ich schwanke anfangs noch ein wenig, doch immerhin kann ich stehen. »Thorsten, wie geht es deiner Schulter?‹‹

»Mir geht‘s prächtig!‹‹, entgegnet Thorsten hinter zusammengebissenen Zähnen, während er sich mit der Hilfe seines Bruders ächzend aufrappelt.

»Wir schaffen es trotzdem nicht rechtzeitig bis zum Tempel. Bis wir dort sind, hat Santa Klaus längst Verstärkung geholt und wir rennen ihnen genau in die Arme‹‹, meint Clara-Justine, die inzwischen ihre Mutter von ihren Fesseln befreit hat.

»Die andere Richtung ist jedenfalls auch keine Option‹‹, sage ich zähneknirschend und nicke mit meinem Kopf zu den Gestalten, die zwischen uns und den Moorsoldaten stehen. Neben den schwarzen Männern und Hannibal Bond sind nur noch Rudy und sein Kampfroboter, der nackte Yeti, zwei kleinere Schattenwölfe, ein Energievampir, eine Handvoll winziger Nasenghule und der siebenarmige Feuerdämon übrig. Letzter schwankt allerding bei jedem Schritt bedrohlich unter dem heftigen Schädeltrauma, welches Thorsten und Torben ihm mit ihren Spaten beschert haben.

»Braucht hier vielleicht jemand eine Mitfluggelegenheit?‹‹, krächzt plötzlich eine hohe Männerstimme hinter uns. Sofort wirbeln wir auf der Stelle herum, die Waffen reflexartig erhoben.

»Der Kampf war für euch bisher ja nicht so belohnend, Alla!‹‹, ruft der alte Mann und schüttelt den Kopf. Dabei wackeln seine rosa Einhornhausschuhe mit ihren Hörnern. Auf seinem Schoß sitzt sein kleiner Hamster, den Helm schief auf seinem Kopf und glotzt mich neugierig an.

»Socke?‹‹, entgegne ich verblüfft, »Ich dachte, Sascha hätte uns mal wieder gerettet. Was machst du denn hier?‹‹

»Ich wollte schon immer mal auf so einem Riesenhühnchen fliegen!‹‹, meint Socke fröhlich, »Sascha hat dafür das Batmobil genommen. Er ist hinten bei Gudrun und den Moorsoldaten.‹‹

»Gudrun?‹‹, fragt Torben stirnrunzelnd, »Du meinst die Moorhexe?‹‹

»Ja, die mein ich‹‹, erwidert Socke ärgerlich, »Dass nur jeder sie so nennen muss! Für mich wird sie immer meine süße, kleine Gudrun bleiben.‹‹ Jetzt sind Thorsten und Torben völlig perplex. Fassungslos starren sie den verrückten Alten auf dem Riesenadler an.

»Kommt Leute, sammelt eure Kinnladen wieder ein, dafür haben wir jetzt echt keine Zeit!‹‹, rufe ich, obwohl ich nun ebenfalls neugierig bin, woher Socke den wahren Namen der Moorhexe kennt. Beim Gehen schlucke ich so gut es geht die Schmerzen herunter. Dankbar nehme ich Sockes helfende Hand an und schwinge mich neben ihm auf den Sattel. Kurze Zeit später haben auch Thorsten, Torben, Clara und ihre Mutter auf dem mächtigen Vogel platzgenommen.

»Hey, kommt sofort wieder runter da!‹‹, brüllt einer der schwarzen Gestalten plötzlich. Jetzt drehen sich auch die anderen Männer und Kreaturen herum und blicken uns an.

»Schnell! Bring uns zum Schwarzen Tempel!‹‹, rufe ich aufgeregt. Rolli hebt gerade seinen mächtigen Eisenspeer und beginnt zu zielen. An der Spitze der tödlichen Waffe klebt noch immer mein eigenes Blut.

»Jetzt!‹‹, brülle ich verzweifelt, doch Socke ist die Ruhe selbst. Tiefenentspannt rückt er die Zügel des Riesenadlers zurecht, schnippt noch einen grauen Fussel von seinem karierten Hemd und streckt sich ausgiebig. Dann endlich (ich habe schon beinahe ein weiteres Mal an diesem Tag mit meinem Schicksal abgeschlossen) gibt er Beagle das Kommando.

Der Flügelschlag des Vogels ist so heftig, dass ich wie bei einem Raketenstart in den Sattel gepresst werde. Binnen eines Wimpernschlages befinden wir uns zehn Meter über dem Boden. Unter uns fährt zischend der Metallspeer durch die Luft, welcher sich in einiger Entfernung knirschend in den grauen Steinboden bohrt.

Endlich kann ich wieder aufatmen.

»Ich glaube, ich sollte euch allen noch danken. Mein Name ist übrigens Sophie‹‹, meint Claras Mutter, während wir auf den Schwarzen Tempel zusteuern.

»Ich weiß, ich habe dich damals beim Bau des Portals beobachtet‹‹, entgegne ich, »Aber bedanke dich lieber nicht zu früh bei uns. Noch sind wir nicht aus diesem Schlamassel raus.‹‹

»Moment mal, du hast mich damals beobachtet?‹‹, fragt Sophie aufgeregt, »Dann musst du John sein! Ich habe viel von dir gehört! Du bist der Anführer der Rebellen, stimmt‘s?‹‹ Sofort spüre ich die fragenden Blicke meiner Freunde in meinem Rücken. Ich hatte noch nicht die Gelegenheit, irgendeinem von ihnen etwas über meine Vergangenheit zu erzählen.

»Das ist lange her‹‹, erwidere ich schließlich, »Ich schätze mal, Bond hat die Rebellion inzwischen längst zerschlagen.‹‹

Ich spüre, wie eine tiefe Trauer bei diesen Worten in mir aufsteigt. Wieder zucken Bilder von vergessenen Tagen, fernen Momenten und glücklichen Erinnerungen durch meinen Kopf.

»Oh nein‹‹, meint Sophie kopfschüttelnd, »Die Rebellion ist stärker als jemals zuvor. Nachdem du Bonds Pläne durchkreuzt hast, haben sich viele dem Widerstand angeschlossen. Ich habe gehört, Chrissy hat während deiner Abwesenheit die Rolle des Anführers übernommen.‹‹

In meinem Bauch tobt ein gewaltiger Schmetterlingsschwarm. Mein Herzschlag geht schneller und ich spüre, wie mich eine Welle der Euphorie packt. »Chrissy ist am Leben! Und die Rebellion ist stärker als je zuvor! Wenn ich nur irgendwie Kontakt zu ihnen herstellen könnte…‹‹

»Sie haben ihr Ziel erreicht‹‹, äfft Socke fröhlich die Stimme eines Navis nach, »Das Ziel befindet sich auf der linken Seite.‹‹

»Danke, Socke‹‹, sage ich zu ihm, während ich von dem Sattel des Riesenvogels hinabrutsche, »Den Rest schaffen wir allein. Geh jetzt wieder los und hilf den anderen.‹‹

»Mit Vergnügen‹‹, erwidert der Alte grinsend. Dabei tätschelt er liebevoll den Hamster auf seinem Schoß, der daraufhin ein zufriedenes Schnurren hören lässt. Als wir schließlich alle abgestiegen sind, nimmt er erneut die Zügel in die Hand und Beagle erhebt sich wieder in die Lüfte.

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