24. Kapitel - Lindwurm am Spieß | CrayZ
- Tim J. R. Ufer

- 19. Juli 2021
- 12 Min. Lesezeit
»Es funktioniert nicht‹‹, presse ich hinter zusammengebissenen Zähnen hervor. Dabei starre ich nach wie vor mit geballten Fäusten auf die eingefallene Tempelruine vor mir. Ich kann es nicht ertragen, meinen Freunden in die Augen zu blicken. Schon wieder habe ich versagt!
»Konzentrier dich einfach‹‹, versucht Clara-Justine mich zu besänftigen, »Wahrscheinlich bist du nur ein wenig aus der Übung.‹‹
»Ich finde deine Haut sieht schon ein wenig schuppiger aus als sonst‹‹, meint Torben nachdenklich, »Findest du nicht auch, Thorsten?‹‹ Thorsten, der nicht gleich reagiert, schafft es gerade noch, dem Spatenhieb seines Bruders auszuweichen.
»Öhm, ja klar! Jetzt sehe ich‘s auch!‹‹, murmelt er hastig, während er sich schnell außer Torbens Reichweite bringt.
»Leute, das ist nicht hilfreich!‹‹, brülle ich meine Freunde an, »Ich versuche mich hier gerade in eine feuerspuckende Flugechse zu verwandeln, okay? Das ist kein Zuckerschlecken!‹‹
»Ich kann es immer noch nicht glauben, dass du das echt kannst‹‹, entgegnet Thorsten stur, »Sicher, dass bei deiner ganzen Herumreiserei durch Raum und Zeit nicht einfach dein Kopf ein paar Macken abbekommen hat?‹‹
»Was denn?‹‹, fragt Thorsten und hebt unschuldig die Hände als er Claras tötenden Blick auf sich spürt, »Wäre doch ne Möglichkeit.‹‹
Zum Glück hält Thorsten danach die Klappe und ich kann mich endlich wieder auf meine Aufgabe fokussieren. Ich weiß, dass ich es kann. Ich sehe die Erinnerungen so klar und deutlich vor meinem inneren Auge als befände ich mich bereits in dem Körper eines Drachens.
Und nicht nur das: Ich kann es spüren! Dieses überwältigende, berauschende Gefühl!
Ganz langsam schließe ich die Augen und lasse die Welt um mich herum verschwinden. Das Donnergrollen über mir verzwergt zu einem harmlosen Hintergrundrauschen. Die peitschenden Windböen, die mir fauchend entgegenschlagen, fühlen sich plötzlich nur noch an, wie ein sanfter Windhauch auf meinem Gesicht. Ich kann meinen eigenen Herzschlag spüren.
poch…poch…poch…poch.
Ich atme tief ein. Spüre, wie der Sauerstoff in meine Lungen fließt. Halte ihn dort für einige Sekunden und lasse ihn schließlich wieder herausströmen.
poch…...poch……poch……poch.
Der Takt meines Herzens verändert sich. Jetzt schlägt es langsamer. Ruhiger. Plötzlich fallen mir neben meinem eigenen Herzschlag noch weitere Vorgänge in meinem Körper auf. Das pulsieren der Adern an meiner Schläfe. Das sanfte Heben und Senken meines Brustkorbs. Der warme Ledergriff in meiner rechten Hand.
»Autsch!‹‹, entfährt es mir überrascht. Die Augen habe ich nach wie vor geschlossen. Ein sengender Schmerz zieht sich über meine linke Brust, direkt über meinem Herzen. Es fühlt sich so an, als hätte dort jemand ein flammendes Feuer entzündet. Doch ich kenne den Schmerz und weiß, was er bedeutet. Erneut begebe ich mich in meinen Trancezustand. Das Brennen in meiner Brust nimmt weiter zu, doch ich akzeptiere die Schmerzen. Ich konzentriere mich weiter nur auf meinen Körper.
Und dann fühle ich es. Einen weiteren Herzschlag. Erst nur ganz leise, doch dann immer lauter und deutlicher.
bum…bum…bum…bum…
Er scheint direkt aus der blutroten Klinge in meiner Hand zu kommen. Unwillkürlich umfasse ich den Griff meines Schwertes fester und hebe das glühende Metall in die Luft.
bum..poch..bum..poch.bum.pochbumpochbumpoch…
Ein berauschendes Glücksgefühl strömt durch meinen Körper. Aufgeregt nehme ich wahr, wie sich mein eigener Herzschlag mit dem meines Drachenschwertes synchronisiert.
pum…pum…boch…boch…
Ganz langsam öffne ich meine Augen. Kurz hätte ich beinahe vor Schreck laut aufgeschrien.
Mein Kopf befindet sich gut acht Meter über dem Erdboden!
Das einzig beruhigende an der Sache ist, dass ich nach wie vor meine Füße auf dem Stein spüren kann. Ich brauche ein paar Momente, um mich zu beruhigen. Wieder atme ich tief ein und aus. Dabei entgehen mir die kleinen Rauchwölkchen nicht, die mit jedem meiner Atemstöße aus meinen hervorstehenden Nüstern emporsteigen.
»Ich fasse es nicht‹‹, höre ich auf einmal eine vertraute Stimme unter mir, »Nik hat sich tatsächlich in einen Scheiß Drachen verwandelt!‹‹
So gut es mein mit scharfen Reißzähnen besetztes Maul zulässt, setze ich ein breites Grinsen auf.
»ROOOAAAARRR!‹‹, antworte ich an Torben gewandt. Dieser zuckt wie vom Blitz getroffen zusammen, stolpert einige Schritte rückwärts und landet schließlich unsanft auf seinem Hintern.
»Okay, das mit der Artikulation haben Drachen nicht so drauf‹‹, stelle ich betrübt fest, »Egal, ich hab jetzt sowieso einen anderen Job zu erledigen.‹‹
Ohne noch einen weiteren Gedanken zu verschwenden breite ich meine riesenhaften Schwingen aus (dagegen waren die Red-Bull-Flügelchen ein schlechter Witz) und erhebe ich mich in die Lüfte. Das Gewitter tobt über mir wie eine wild gewordene Bestie, doch das stört mich nicht. Der kalte Regen prasselt nur wirkungslos gegen meine dicke Drachenhaut und die mächtigen Sturmböen sind gerade stark genug, um mich ein wenig unter den Flügeln zu kitzeln.
Ein paar Sekunden später habe ich bereits die knochenweiße Ruine erreicht. Ich gehe in einen sanften Gleitflug über und studiere das zerfallene Tempelgebäude eingehend. Wenn ich das Bauwerk rechtzeitig zum Einsturz bringen will, dann muss ich am schwächsten Punkt ansetzen.
Es dauert auch nicht lange und ich habe die perfekte Stelle gefunden: Eine dicke Marmorsäule in der Mitte des Tempels, welche unter einem großen Loch in der Decke zum Vorschein kommt. An dem Gestein der tragenden Säule haben bereits Wind und Wetter genagt und mit meinen scharfen Augen erkenne ich mehrere, hauchdünne Risse, die sich über den hellweißen Marmor ziehen. Ich öffne mein mächtiges Maul und mache mich bereit für einen Sturzflug. Glühend heiß züngeln die Flammen in meinem Brustkorb hoch, bereit sich in einem tobenden Feuerball aus meinem Rachen zu stürzen.
Doch dann halte ich inne. Eine schattenhafte Bewegung neben der Säule hat meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Ich lasse die Flammen in meinem Brustkorb ein wenig abkühlen, jedoch nicht ganz ersterben. Vorsichtig sinke ich ein wenig tiefer, um besser durch die Lücken im Dach in den Tempel blicken zu können.
Da! Eine Gestalt!
Das mächtige Herz in meinem mit Schuppen besetzten Brustkorb schlägt heftiger. Jetzt verfluche ich den scharfen Blick, den mir die Gestalt eines Drachens verleiht. Ich habe erkannt, wer sich dort unten in dem Tempel befindet.
Innerlich fluchend drehe ich eine weitere Runde über dem Gebäude und versuche, eine sinnvolle Entscheidung zu fällen. Hannibal Bond und seine Schergen sind bereits durch das Portal getreten und befinden sich in diesem Moment auf dem Weg zum Ausgang des Tempels. Noch kann ich sie vielleicht aufhalten, indem ich die tragende Säule zerstöre und das gesamte Bauwerk zum Einsturz bringe. Doch dann würde auch Claras Mutter ein für alle Mal unter dem schweren Gestein begraben werden. Ich habe sie an ihren Augen erkannt. Die Gestalt in den Schatten des Tempels. Es sind die gleichen smaragdgrünen Augen, in denen ich nun schon so oft träumerisch versunken bin.
»Ich kann es nicht tun‹‹, stelle ich bitter fest, »Ich kann nicht für den Tod ihrer Mutter verantwortlich sein.‹‹
Also mache ich auf der Stelle eine Kehrtwende in der Luft und sause mit ein paar mächtigen Flügelschlägen zurück zu meinen Freunden.
»Ähm, der Tempel steht aber noch‹‹, begrüßt mich Torben und sieht mich an, als hätte ich vollständig den Verstand verloren. Auch Clara-Justine und Thorsten wirken nun ernsthaft besorgt.
»Was ist los?‹‹, will Clara wissen, sobald ich gelandet bin. Sie brüllt die Frage zu mir hoch, als hätte ich was auf den Ohren. Vielleicht sollte ich meine Freunde mal damit aufklären, dass Drachen über einen ganz hervorragenden Gehörsinn verfügen.
Ich belasse es aber vorerst dabei und antworte stattdessen: »ROOAAAR. ROOAAAAAR. ROAAAAR!‹‹ Zu meiner Ehrenrettung: Das waren definitiv nicht die Worte, die mir auf der Zunge lagen.
»Verfluchter Lindwurm!‹‹, beschimpfe ich mich selbst in Gedanken.
»Deutsche Sprache, schwere Sprache‹‹, ruft Thorsten von unten zu mir hoch. Wenig hilfreich.
Ich konzentriere mich ganz auf meine Zunge und mein Maul und beginne den Satz nochmal von vorne. Diesmal, ich kann es selbst kaum glauben, dringen tatsächlich richtige Worte aus meinem Echsenschlund. Meine Stimme klingt zwar fünf Oktaven tiefer und eine ordentliche Spur bedrohlicher als sonst, doch damit kann ich leben.
»ES IST DEINE MUTTER. BOND UND SEINE MÄNNER SIND BEREITS DURCH DAS PORTAL GETRETEN UND HABEN SIE ALS GEISEL BEI SICH. HÄTTE ICH DEN TEMPEL ZUM EINSTURZ GEBRACHT, WÄRE SIE JETZT TOT‹‹, presse ich die Worte zwischen den zwei Reihen messerscharfer Reißzähne hervor. Bei jedem einzelnen Buchstaben muss ich mich unglaublich stark konzentrieren, um nicht wieder in ein animalisches Brüllen zu verfallen.
Unterdessen scheint Clara unschlüssig darüber, ob sie nun Wut oder Dankbarkeit mir gegenüber empfinden soll. Glücklicherweise entscheidet sie sich schließlich für Letzteres. Es fällt mir allerdings schwer zu sagen, welchen Einfluss mein derzeitiges Erscheinungsbild bei ihrer Entscheidungsfindung gespielt hat.
»WIR HABEN NOCH EINE CHANCE, DEINE MUTTER UND UNS ALLE ZU RETTEN‹‹, brülle ich so sanft und leise ich kann. Trotzdem donnern meine Worte so heftig aus meinem Maul heraus, dass sie das schwere Gewittergrollen über uns für einige Sekunden vollständig verschlucken.
»Wir glauben dir‹‹, rufen Thorsten und Torben im Chor und nicken heftig. Auch Clara scheint von meiner Vorstellung mehr als überzeugt.
»Niemand ist so hirnverbrannt und widerspricht einem Drachen‹‹, stelle ich mit einiger Genugtuung fest und bin dabei durchaus zufrieden mit mir. Meine innere Glückseligkeit ist allerdings nur von kurzer Dauer.
KAAAWUUUM!
Das Eingangstor des Tempels explodiert in einem gewaltigen Funkenregen. Eine pechschwarze Rauchfahne steigt zum Himmel empor, wo sie mit den dunklen Gewitterwolken verschmilzt. Gleichzeitig, wie als flüchte sie vor der kommenden Schlacht, verschwindet die Sonne nun gänzlich hinter der finsteren Wolkendecke über uns. An ihrer Stelle jagen gleißend helle Lichtblitze über den Himmel und lassen den totenblassen Tempel vor uns unheimlich aus der Dunkelheit aufblitzen.
»WIR HALTEN HIER DIE STELLUNG‹‹, brülle ich durch Wind und Regen und breite meine gigantischen Schwingen aus. Der Sturm ist mittlerweile allerdings so stark, dass er mich beinahe umwirft. Schnell klappe ich meine Flügel wieder zusammen und stelle mich stattdessen auf meine Hinterbeine. Dabei kneife ich meine Augen zusammen und versuche etwas in der von Regen gepeitschten Dunkelheit vor uns zu erkennen. Unter mir gehen die Zwillinge mit ihren Spaten in Kampfstellung. Clara hat von Torben ihr Gewehr aus dem Cockpit des SCHREDDERS bekommen, welches sie nun zitternd mit beiden Händen umklammert.
Unsere Feinde brechen urplötzlich aus der Finsternis hervor wie Dämonen. Kurz bin ich versucht, mich umzudrehen und auf der Stelle das Weite zu suchen. Stattdessen habe ich genau eine Sekunde, um die aufkeimende Panik in meinem Hals herunterzuschlucken.
Ein faustdicker Speer schneidet zischend durch die eiskalte Luft und verfehlt meine Brust nur um wenige Meter. Sein Absender, ein gewaltiger Ork mit breiten Schultern und einer platten Nase, stiert mich böse an. Gleichzeitig nehme ich aus dem Augenwinkel wahr, wie sich ein Rudel schwarzer Wölfe auf Thorsten, Torben und Clara stürzt. Es sind mindestens sieben von den zotteligen Kreaturen und jede von ihnen ist groß und muskelbepackt wie ein ausgewachsener Grizzly. Hannibal Bond hat die grässlichsten Kreaturen um sich geschart, die das Schwarze Loch zu bieten hat.
Doch nun bin ich an der Reihe! Wie ein wildgewordener Teufel schleudere ich dem tosenden Gewitter ein ohrenbetäubendes Brüllen entgegen und lasse meinen mit Schuppen besetzten Schwanz knallend durch die Luft peitschen. Die Wucht meines Hiebes erwischt den Ork vor mir so heftig, dass dieser wie eine Stoffpuppe mehrere Meter durch die Luft geworfen wird und schließlich mit einem hässlichen Knirschen auf dem harten Felsboden zerschellt.
Im selben Augenblick habe ich mich schon von der armen Kreatur abgewandt und lasse nun meine mächtigen Klauen wie Speere auf die pechschwarzen Schattenwölfe niederfahren. Zwei von ihnen spieße ich auf wie saftige Spanferkel, ein dritter fällt meinem noch immer ruhelos umherpeitschenden Schwanz zum Opfer. Doch die restlichen vier haben nun meine Freunde erreicht.
Clara ballert wie eine Furie auf die Viecher ein, doch die Wölfe scheinen von den Kugeln nicht einmal Notiz zu nehmen. Eine der Bestien springt nach vorne und schleudert Clara-Justine mit seiner mächtigen Pranke zu Boden. Einen Wimpernschlag später ist das Monster über ihr und öffnet sein grässliches Maul, um ihr endgültig das Leben auszuhauchen.
Dass nun sein eigenes Leben ein sehr rasches Ende finden würde, konnte der arme Schattenwolf dabei ja nicht ahnen. Erst als er die mächtigen, mit hunderten spitzen Zähnen besetzten Drachenkiefer um seinen Brustkorb spürt, weiß er, dass es um ihn geschehen ist. Ich hebe das kläglich winselnde Tier in die Lüfte und packe noch etwas fester zu. Der schwere Geschmack von Eisen liegt mir auf der Zunge.
Wütend hole ich aus und spucke den Wolf in den tobenden Sturm. Die Dunkelheit verschluckt die Kreatur und lässt sie nicht wiederkehren. Unter mir haben Thorsten und Torben den verbliebenen drei Schattenwölfen mit ihren Spaten so übel zugesetzt, dass die zottigen Bestien schließlich jaulend die Flucht ergreifen.
Auf einmal ist es wieder ruhig um uns herum. Meine Freunde drängen sich jetzt dicht um meine mächtigen Füße, sodass ich schon fürchte, einen von ihnen versehentlich zu zertreten. Deshalb bewege ich mich lieber überhaupt nicht und stiere stattdessen gespannt auf die Dunkelheit vor uns. Dicke Regentropfen trommeln auf meine schuppige Haut und heftige Böen peitschen mir unsanft ins Gesicht. Die Sicht ist so schlecht, dass ich keine fünf Meter weit sehen kann.
»Vorsicht! Sie sind hinter…‹‹, höre ich Torben durch den pfeifenden Wind schreien, doch da ist es auch schon zu spät. Ein siebenarmiger Feuerdämon hat ihn am Genick gepackt und prügelt nun mit einer vergilbten Schriftrolle auf ihn ein. Gleich daneben schlängelt sich eine Giftschlange, dick wie ein menschlicher Oberschenkel und mit zwei Köpfen auf die wehrlose Clara zu. Da die Köpfe der Schlange jedoch an den entgegengesetzten Enden sitzen und sie sich nicht darauf einigen können, ob sie zuerst das Mädchen oder den jungen Mann neben ihr verspeisen sollen, bleibt für mich genug Zeit, um das Reptil mit meinem Maul in der Mitte zu packen und einmal sauber entzweizuteilen.
Sofort nutzt Thorsten die Gelegenheit, befreit seinen Bruder aus dem Schwitzkasten des Feuerdämons und prügelt diesem mit seinem Spaten die Seele aus dem Leib. Währenddessen halte ich Ausschau nach weiteren Gegnern.
»Wie ich sehe, hast du deine alte Gestalt wiederentdeckt‹‹, höre ich eine blecherne Stimme durch den tosenden Wind rauschen. Die feinen Geruchsrezeptoren meiner Schnauze melden einen Hauch von Orange.
Rudy kommt auf ein klappriges Metallgestell gestützt aus der Finsternis gehumpelt.
»WIE ICH SEHE BRAUCHST DU JETZT EINEN ROLLATOR‹‹, erwidere ich und zeige dem Staubsauger zu meinen Füßen mein breitestes Drachengrinsen. Kurz starrt mich Rudy mit seinen dunklen Roboteraugen finster an. Doch dann besinnt er sich eines Besseren.
»Ich brauch überhaupt nix!‹‹, pfeffert er mir trotzig entgegen, »Rolli ist mein Freund und er wird dir deinen schuppigen Echsenhintern versohlen!‹‹
Jetzt kann ich mich nicht mehr halten. Mein Gelächter schallt wie ein Donnergrollen über den Himmel.
»DU HAST DEINEM RENTNERSCHLITTEN EINEN NAMEN GEGEBEN?‹‹, pruste ich hervor, während ich mühsam versuche, meinen Lachkrampf zu bändigen, »PUTZT DU IHM DENN ABENDS VOR DEM SCHLAFENGEHEN AUCH DIE ZÄHNE?‹‹
Anstatt eine Antwort zu geben, (die mir im Übrigen deutlich lieber gewesen wäre) beginnt der Rollator in Rudys Händen sich zu transformieren. Es ist mir absolut schleierhaft, wo auf einmal dieses ganze Metall herkommt, doch im nächsten Moment steht auch schon ein mächtiger, fünf Meter hoher Kampfroboter vor mir. In seiner Mitte, dort wo eigentlich das Herz sitzen sollte, sitzt Rudy und blickt mich finster an. Die Maschine reicht mir zwar noch immer gerade mal bis zur Brust, doch ich ertappe mich dabei, wie ich unsicher auf die funkelnden Klingen in den Fäusten des Roboters schiele.
»KÖNNEN WIR NOCHMAL DARÜBER REDEN?‹‹, versuche ich mich aus der Situation zu retten. Unter mir liefern sich meine Freunde gerade ein hitziges Gefecht mit einem nackten Yeti und einer Horde Schwarzlackpaviane. Für den Moment scheinen sie ganz gut ohne mich zurecht zu kommen.
»Kannste vergessen, Echsenhirn!‹‹, brüllt Rudy mich an, »Heute Abend gibt‘s Lindwurm am Spieß!‹‹
Ich seufze. Dann drehe ich mich ein wenig und senke meinen Kopf, als würde ich meinen Freunden zur Hilfe kommen wollen. Dabei beobachte ich Rudy und seinen Transformer-Rollator weiterhin aus den Augenwinkeln. Der Staubsauger fällt auf meinen Trick herein und stürzt sich auf meine ungeschützte Seite. Die glänzenden Stahlschwerter in den Händen des Kampfroboters sind nur noch wenige Meter von meiner Brust entfernt.
In diesem Moment lasse ich meinen Schwanz wie einen Blitzschlag durch die Luft zucken. Knirschend trifft Schuppenhaut auf Metall. Rudy flucht wütend, während sein Roboter nach hinten taumelt. Sofort setze ich nach und packe die Arme der mächtigen Maschine mit meinen Klauenhänden. Die Stahlstreben des Kampfroboters ächzen unter der Belastung, halten aber stand. Nun ist Rolli mit seinem Angriff an der Reihe. Der Rollator rammt mir mit voller Wucht seinen Metallfuß in den Bauch. Stöhnend krümme ich mich vor Schmerzen, lasse die Arme meines Gegners allerdings nicht los.
Weitere Tritte hageln auf meinen Fuß, mein Schienbein und meine Rippen ein. Jedes Mal fährt ein gleißender Schmerz durch meinen gesamten Körper. Der kleine Junge in mir schreit um Gnade und will fliehen. Doch die Bestie, in deren Körper ich gerade stecke, ist jetzt erst richtig erwacht!
Ein markerschütterndes Brüllen dringt aus meinem Maul und brandet donnernd über den rabenschwarzen Himmel. Mit einer Kraft und Schnelligkeit, die ich mir selbst gar nicht zugetraut hätte, werfe ich meinen Kopf nach vorne, öffne meine mächtigen Kiefer und schnappe zu. Funken fliegen in alle Richtungen. Metall schreit. Rudy auch.
Mit einem heftigen Ruck schüttele ich meinen Kopf, meine Zähne noch immer tief in dem Körper meines Feindes vergraben. Einen Moment später ziehe ich ihn wieder zurück und reiße dabei ein großes Stück Blech aus Rollis stählernem Brustkorb. Triumphierend lasse ich die Arme der Maschine los, versetze ihr noch einen heftigen Tritt und sehe dabei zu, wie Rudys Kampfrollator taumelnd im tobenden Sturm verschwindet.
Zufrieden wende ich mich wieder meinen Freunden zu. Kaltes Entsetzen fährt mir durch Mark und Bein. Eine Gruppe schwarz verhüllter Gestalten hat Thorsten, Torben und Clara umringt. Thorsten liegt stöhnend auf dem Boden und hat seine Hand gegen eine klaffende Wunde an seiner Schulter gepresst. Sein Bruder kauert über ihm, den blutigen Spaten hoch erhoben. Bereit, jederzeit bis zum letzten Atemzug zu kämpfen. Am meisten Sorge bereitet mir jedoch Clara-Justine. Ihre langen schwarzen Haare fallen pitschnass in ihr blutverschmiertes Gesicht. In der Hand hält sie Thorstens Spaten, doch ich kann sehen, dass sie nicht die Kraft hat, um einen weiteren Kampf durchzustehen. Sie humpelt auf ihrem rechten Bein und über ihre linke Seite zieht sich eine tiefe Fleischwunde.
Die schwarzen Gestalten ziehen ihren Kreis enger. In ihren Händen halten sie bedrohlich funkelnde Schwerter mit gezackten Klingen, die aussehen wie grässliche Reißzähne.
»WAGT ES JA NICHT…‹‹, beginne ich mit einem wütenden Brüllen, doch mitten im Satz zucke ich plötzlich zusammen. Der Schmerz kommt so unerwartet und so heftig, dass meine Beine nachgeben und ich wie ein gefällter Baum zu Boden gehe. Meine Knie schlagen krachend auf dem felsigen Untergrund auf, doch die dadurch hervorgerufenen Schmerzen sind nichts im Vergleich zu dem gleißenden Feuer in meinem Rückgrat. Ein weiterer Ruck geht durch meinen Körper und ich spüre, wie sich das kalte Eisen noch tiefer in mein Fleisch gräbt. Vor meinen Augen verschwimmt die Welt. Ich will schreien, doch kein Laut dringt aus meinem mächtigen Maul. Ich will fauchend um mich schlagen, doch meine Glieder sind zu schwer. Viel zu schwer. Wie bleierne Gewichte hängen sie an mir und ziehen mich weiter nach unten. Immer tiefer. Tiefer.

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