22. Kapitel - Trollofanten | CrayZ
- Tim J. R. Ufer

- 19. Juli 2021
- 7 Min. Lesezeit
Adrenalin pulsiert brennend heiß durch meine Adern. Fieberhaft versuche ich in meinem Kopf eine Lösung für unsere verzwickte Situation zu finden. Der SCHREDDER liegt auf der Seite und hat keine Chance sich aufzurappeln. Jedenfalls nicht so lange diese Elefantentrolle ihn bearbeiten wie Metzger, die einen Batzen Hackfleisch kneten.
In diesem Moment ertönt das unheilverkündende Kreischen von brechendem Metall. Ein Blick auf die Bildschirme verrät mir, dass einer der Trolle seinen Kumpanen aus dem eisernen Griff der Maulzange befreit hat. Der Unterkiefer des SCHREDDERES liegt nun herausgebrochen auf der Erde. Ein Schauder läuft mir über den Rücken.
WUUMMM! WUUMMM!
Die Trolle nehmen nun ihre Arbeit von neuem auf und hämmern auf dem wehrlosen Kampfroboter herum wie ein Schmiede auf ihrem Amboss. Bei jedem einzelnen Schlag erzittert das ganze Cockpit.
»Wir müssen hier raus!‹‹, ruft Torben, der mittlerweile seinen Posten verlassen hat und nun auf die kleine Einstiegsluke in der Mitte des Raumes zuläuft.
»Hast du den Verstand verloren?‹‹, brülle ich ihn an, »Darauf warten diese Mistviecher doch nur? Sie werden uns schnappen und zerquetschen!‹‹
»Hast du eine bessere Idee?‹‹, fragt mich Thorsten verzweifelt, »Bald haben sie uns sowieso. Das Cockpit wird den Schlägen nicht mehr lange standhalten!‹‹
Da ich keine Antwort habe, beiße ich mir stattdessen wütend auf die Unterlippe. Schon wieder stecken wir in dieser verdammten Maschine fest. Langsam beginne ich, an der Nützlichkeit des SCHREDDERS ernsthaft zu zweifeln.
»Es gibt vielleicht noch eine Chance…‹‹, meldet sich Clara-Justine plötzlich zu Wort. Ihr Finger schwebt über einem kleinen, unscheinbaren Knopf auf dem Armaturenbrett. »Mein Dad hat mir gesagt, dass ich diesen Knopf nur im absoluten Notfall drücken soll. Ich schätze mal, jetzt ist so ein Notfall.‹‹
»Was passiert, wenn du auf den Knopf drückst?‹‹, frage ich, »Wieso hast du ihn nicht schon viel früher gedrückt?‹‹
»Der Knopf aktiviert die urzeitlichen Raubtierinstinkte des T-Rex. Der SCHREDDER wird für einige Minuten alles zerstören, was sich ihm in den Weg stellt‹‹, antwortet Clara, »Aber er zerstört sich dabei selbst. Wenn ich den Knopf drücke, dann war‘s das mit unserem Stahldinosaurier.‹‹
Ich muss Schlucken. Unentschlossen blicke ich zu den Zwillingen, dann zu den Bildschirmen und wieder zurück. Ohne den SCHREDDER würde der Rückweg ein langes und riskantes Abenteuer werden. Andererseits: Wenn wir den Knopf nicht drücken, dann gibt es für uns keinen Rückweg.
»Tu es‹‹, sage ich schließlich.
Ein weiteres WUUMMM! quittiert krachend meine Aussage.
Auch Thorsten nickt: »Ja, es ist unsere einzige Möglichkeit‹‹
WUUMMM! WUUMMM!
Clara zögert. Sie blickt fragend zu Torben. Dieser hat einen gequälten Gesichtsausdruck aufgesetzt. Dann nickt er kaum merklich.
WUUMMM! WUUMMM! WUUMMM!
Erste Dellen erscheinen in der Decke. Feine Risse ziehen sich durch den mächtigen Eisenpanzer, in dessen Inneren wir sitzen.
»Jetzt mach schon!‹‹, rufe ich verzweifelt. Bei jedem WUUMMM! zucke ich am ganzen Körper zusammen.
Endlich fasst sich Clara ein Herz und drückt auf den Knopf. Für einen Augenblick passiert überhaupt nichts. Einer der Trolle lässt seine Faust wie einen Kometen auf den Bauch des SCHREDDERS niedersausen. Der Aufprall fühlt sich an wie ein Erdbeben.
Dann verändert sich plötzlich die Beleuchtung im Inneren des Cockpits. Das sanfte weiß der LED-Lichter schlägt um in ein blutiges Rot. Ein Zittern geht durch die gesamte Maschine. Diesmal nicht durch einen Schlag der Trolle verursacht, sondern durch das Brummen zahlreicher Motoren.
Im nächsten Moment zerschmettert ein Brüllen die kalte Luft, wie es der Mond noch nicht vernommen hat. Die majestätische Kreatur aus Stahl und Eisen richtet sich zuckend und ächzend auf. Für einen kurzen Augenblick sind die Trolle so irritiert über das plötzliche Erwachen ihres Gegners, dass sie zurückweichen. Es ist der letzte Fehler, den sie in ihrem Leben machen würden.
Der SCHREDDER kommt wieder auf die Beine. Sein Unterkiefer ist herausgebrochen und über seinen Brustpanzer ziehen sich tiefe Furchen. Doch die Augen der Bestie funkeln blutrot und seine Klauen glänzen bedrohlich in der Sonne. Der urzeitliche Stahldinosaurier wird nicht länger von fremder Hand gesteuert. Er verlässt sich nur noch auf seine Programmierung. Und diese befiehlt ihm, sich ganz seinen animalischen Instinkten hinzugeben: Fressen oder gefressen werden.
Der SCHREDDER muss nicht lange überlegen – er entscheidet sich für‘s Fressen!
»Autsch!‹‹, mache ich als ich unsanft auf dem harten Untergrund lande. Stöhnend richte ich mich auf und gehe zur Seite, um Platz für die anderen zu machen. Sofort wünsche ich mir, ich hätte mehr Kleidung bei mir als mein zerrissenes T-Shirt. Im Tal des Schwarzen Tempels herrscht eine tödliche Kälte.
»Immerhin leben wir noch‹‹, meint Torben mit einem Seufzen. Er trägt seinen Spaten über der Schulter und betrachtet das Schlachtfeld um uns herum. Vier Trolle liegen regungslos und mit zerfetzten Leibern auf dem felsigen Mondgestein. Dickflüssiges, dunkles Rot ergießt sich aus ihrem Fleisch und tränkt die braune Erde.
Der SCHREDDER selbst sieht nicht viel besser aus. Von unserem ehemals majestätisch und bedrohlich wirkenden Kampfroboter ist nicht viel mehr übriggeblieben als ein qualmender Haufen Schrott. Überall dort, wo die Elefantentrolle ihre mächtigen Ohren gegen das Metall des Dinosauriers gerammt haben, befinden sich tiefe Dellen in dem Stahl wie klaffende Wunden. Das schwarze Eisen ist verbogen und zerbeult, das rote Glühen in den Augen der Bestie erloschen. Der urzeitliche Gigant hat seinen letzten, mechanischen Atemzug für uns gegeben.
Meine Augen wandern zu den leichenblassen Umrissen der Ruine vor uns. Unwillkürlich umklammere ich den Griff meines Schwertes fester. Ich bin so kurz vor dem Ziel. Und nun weiß ich nicht einmal mehr, ob ich dieses Ziel überhaupt erreichen will. Clara hat mich betrogen. Sie hat mich benutzt und mir das Herz gebrochen. Und doch spüre ich noch immer diese klaffende Wunde in mir. Es ist dieses Gefühl, welches man hat, wenn man sich sicher ist, etwas unglaublich Wichtiges vergessen zu haben, sich aber nicht mehr daran erinnern kann.
Ein Teil von mir möchte in diesen Tempel. Die Sache endlich zu Ende bringen! Der andere Teil möchte einfach nur noch weg von hier. Glücklicherweise wird mir die Entscheidung in diesem Moment abgenommen.
»Eine falsche Bewegung und ich schlitze deiner Freundin ihre hübsche Kehle auf!‹‹
Mein Atem stockt. Ganz langsam wende ich meinen Blick von den schaurigen Ruinen des Schwarzen Tempels ab und drehe mich um.
»So ist‘s richtig, mein Junge! Bloß keine Dummheiten jetzt!‹‹, knurrt die mechanische Stimme und in diesem Moment schlägt mir der bitter-süße Geruch von Orangen in die Nase. Sofort zucken unangenehme Erinnerungen durch meinen Kopf und ich muss mich beinahe ein drittes Mal an diesem Tag übergeben.
»Ich werde das jetzt nur einmal sagen, Nik, also hör gut zu!‹‹, warnt mich der Staubsauger. Thorsten und Torben starren ihn entgeistert an, unfähig einen Muskel zu rühren. Doch mein Blick gilt nur diesen vor Angst geweiteten, smaragdgrünen Augen. Und dem funkelnden Stahl, welcher sich an das helle, weiche Fleisch unter ihnen schmiegt.
Ich sage nichts. Warte darauf, dass der Staubsauger fortfährt.
»Du hast dein Gedächtnis verloren, das ist bedauerlich. Aber es gibt eine Möglichkeit, wie wir heute noch alle glücklich werden können‹‹, sagt Rudy blechern und zum ersten Mal in meinem Leben sehe ich einen Staubsauger grinsen, »Komm mit mir in den Tempel. Ich gebe dir deine Erinnerungen und dein Mädchen zurück und du gibst mir das Passwort, das sich in einer deiner dunklen Gehirnwindungen versteckt. Hannibal Bond wird angesichts deiner Kooperationsbereitschaft sicherlich gnädig gestimmt sein und die Mutter deiner Freundin auch noch freilassen.‹‹
»Ende gut, alles gut‹‹, fasse ich den Deal tonlos zusammen. Meine Miene ist versteinert. Wie ein Zuschauer betrachte ich die ganze Szene von außen. Spüre kaum, wie der eiskalte Wind an meinen Haaren und meinem T-Shirt zerrt.
»Ende gut, alles gut‹‹, beteuert der Staubsauger, der es offensichtlich kaum glauben kann, dass ich so schnell dazu bereit bin, auf seinen dreckigen Handel einzugehen.
Ich mache einen vorsichtigen Schritt auf Rudy zu und strecke ihm meine freie Hand hin: »Besiegeln wir das Ganze mit einem Handschlag. Du sorgst dafür, dass Clara und ihrer Mutter nichts passiert, und ich befreie deinen Meister aus seinem schwarzen Gefängnis.‹‹
»Nein! Nik, hör zu! Tu das nicht! Hannibal Bond wird uns alle töten!‹‹, ruft Clara, doch der Staubsauger hebt blitzschnell einen seiner drei Saugarme und bläst ihr einen dicken Schwall seines betäubenden Parfüms ins Gesicht. Clara-Justine schafft es für einige Augenblicke die Luft anzuhalten, doch dann raubt ihr der durchschlagende Gestank von Orangen die Sinne. Es dauert nicht lange und sie hängt schlaff und wehrlos in den Armen des Killer-Staubsaugers.
Ich lasse weiterhin keinerlei Emotionen erkennen. Mein Gesicht ist genauso steinern, wie der Fels unter meinen Füßen. Rudy dagegen lächelt amüsiert. Auch er macht nun einen Schritt auf mich zu und streckt mir seinen Arm entgegen. Dabei lässt er das Messer in seiner Rechten ein wenig sinken, um die ohnmächtige Clara am Fallen zu hindern.
Mein Arm ist bleischwer und meine Muskeln eiskalt. Trotzdem habe ich den Überraschungsmoment auf meiner Seite.
Die glühend heiße Klinge meines Katanas zuckt silberschnell durch die stürmische Luft und bohrt sich tief in die rechte Schulter des Staubsaugers. Dieser stöhnt wütend auf, ist aber noch längst nicht geschlagen.
Ich versuche mit einem schnellen Hieb nachzusetzen, muss allerdings aufpassen, dass ich dabei nicht aus Versehen Clara aufschlitze. Rudy nutzt das zu seinem Vorteil. Er hält das Mädchen wie einen Schutzschild vor sich, während er einige Meter zurückweicht. Dann richtet er seinen Saugschlauch auf mich und stößt eine mächtige Duftwolke aus. Der blutrote Drachenstahl fährt zornig durch die Luft und beißt dem Staubsauger seinen Arm ab. Doch das narkotisierende Duftmittel entfaltet bereits seine Wirkung bei mir. Hustend stolpere ich zurück und ziehe mir den Stoff meines T-Shirts vors Gesicht, um nicht noch mehr von dem ekelerregenden Zeug zu inhalieren.
»Ich hoffe, du überlegst dir das mit unserer Abmachung noch einmal!‹‹, ruft Rudy wütend, »Du hast eine Stunde. Wenn du bis dahin nicht im Schwarzen Tempel erscheinst, siehst du deine Freundin nie wieder!‹‹
Mit diesen Worten steckt der Killer-Staubsauger sein Messer ein, schlingt seine beiden verbliebenen Arme um Clara und erhebt sich wie ein Jetpack in die Luft. Einen kurzen Augenblick schwebt er dort über uns und wirft einen zornigen Blick auf das Katana in meiner Hand, welches ihn seinen dritten Saugrüssel gekostet hat. Dann fliegt er dröhnend durch die Luft, direkt auf den Schwarzen Tempel zu.

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