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19. Kapitel - Die Falle | CrayZ

  • Autorenbild: Tim J. R. Ufer
    Tim J. R. Ufer
  • 19. Juli 2021
  • 6 Min. Lesezeit

Außer den zwei glühenden Scheinwerferkegeln, die leuchtend gelb aus den Augen des SCHREDDERS hervorstechen, umgibt uns völlige Finsternis. Wir marschieren im Bauch des riesigen Stahldinosaueriers voran, Vater Fels und die übrigen Kieslinge folgen dicht hinter uns.

Obwohl der Granitbrocken mir vorher mehrfach versichert hat, dass die Grotte groß genug für den SCHREDDER sei, hatte ich da anfangs meine Zweifel. Jetzt aber, wo ich das wahre Ausmaß des unterirdischen Höhlensystems mit eigenen Augen erblicke, fühle ich mich sogar ein wenig betrogen. Der alte Granitfelsen hat mit seinen Beschreibungen maßlos untertrieben!

Die Grotte, in der wir uns jetzt befinden, ist gewaltig. Zwanzig Meter über uns wölbt sich eine gigantische Decke uns schiefergrauem Gestein. Die Wände und der Boden sind glattgeschliffen und glänzen sogar ein wenig im Licht unserer Taschenlampenaugen, als wären sie aufwändig poliert worden. Vermutlich das Werk der Edelsteinlinge, die nur für glänzendes Gestein etwas übrighaben.

Hier und da ragen baumstammdicke Stalaktiten und Stalagmiten wie spitze Zahnreihen aus Boden und Decke und geben mir das unangenehme Gefühl, durch den Schlund eines riesenhaften Urzeitungeheuers zu spazieren. Ein Schwarm blutroter Vampirfledermäuse flattert aufgeschreckt an uns vorbei, um dem sengenden Licht unserer Scheinwerfer zu entgehen. Ansonsten ist es vollkommen ruhig in der Höhle. Einzig das flüsterleise Plätschern von klarem Mineralwasser auf blanken Stein weht aus einem der hinteren Tunnel an uns heran.

»Wo bleiben die Edelsteinlinge?‹‹, stelle ich die Frage, die schon seit einigen Minuten unausgesprochen im Raum hängt.

»Vielleicht hat das Brüllen des SCHREDDERS sie gewarnt und sie haben sich bereits aus dem Kies gemacht‹‹, wirft ein fleckiges Mineral hoffnungsvoll seine These ein.

»Wenn das stimmt was Vater Fels uns über diesen Diamantling erzählt hat, dann steht uns der richtige Kampf noch bevor‹‹, macht Clara die Hoffnung des Steinlings sofort zunichte, »Dieses Kronjuwel wird diese Grotte nicht einfach sang und klanglos aufgeben.‹‹

»Wahrscheinlich versteckt sich der feige Diamant irgendwo in einem der schmalen Seitentunnel‹‹, meint ein anderer Kiesling grimmig.

»Vielleicht haben die anderen ja was entdeckt‹‹, sage ich und zucke mit den Achseln, während ich das Bordmikrofon betätige, »Leute? Wie sieht es da draußen aus?‹‹

Eine kurze Pause der absoluten Stille.

Dann antwortet Vater Fels mit tiefer, gesenkter Stimme: »Hier ist irgendetwas faul. Wir müssten eigentlich längst jemandem begegnet sein.‹‹

»Was schlägst du vor?‹‹, frage ich. Ein leichtes, unangenehmes Kribbeln breitet sich in meinem Brustkorb aus. Unser Plan ist kein Meisterwerk: Rein in die Grotte und alles zermalmen, was sich uns in den Weg stellt. Doch nun, da wir den Überraschungseffekt offen-sichtlich nicht mehr auf unserer Seite haben, beginnen die ersten Zweifel an mir zu nagen wie ausgehungerte Hyänen, die sich an einem frischen Kadaver zu schaffen machen.

»Wir gehen noch tiefer rein‹‹, höre ich die piepsige, aber entschlossene Stimme von Rocky knirschend durch die Lautsprecher schallen, »Sie können sich nicht ewig verstecken.‹‹

Verunsichert werfe ich einen Seitenblick auf Clara. Auch sie scheint mit der Situation alles andere als zufrieden, denn sie kaut gedankenverloren auf ihrer Unterlippe herum als wäre diese ein saftiges Steak.

»Du hast den Kieselstein gehört, Clara. Genug mit der Herumschleicherei! Zeigen wir diesen Edelsteinfieslingen, dass wir nicht zum Spaß hier sind!‹‹, ruft Torben grimmig und umklammert dabei fest entschlossen seinen Steuerungsknüppel.

»Wir sind in einem verdammten Stahldinosaurier mit gehärteter Schwarzeisenpanzerung. Diese feigen Klunker können sich von mir aus verstecken, solange sie wollen. Irgendwann kriegen wir sie!‹‹, ergreift nun auch Thorsten das Wort.

»Ich habe da ein ganz mieses…‹‹, beginne ich seufzend, doch bevor ich den Satz zu Ende sprechen kann, passieren sehr schnell sehr viele Dinge gleichzeitig.

Zuerst fällt mein Blick auf den fußballgroßen, pechschwarzen Diamantling, der wie ein Feldherr mit erhobenem Haupt vor uns auf einem riesigen Geröllhaufen thront. Über seine perfekt geschliffene Oberfläche, die im Licht unserer Scheinwerfer in tausenden Farben schimmert, zieht sich ein fieses Grinsen.

Dann ertönt plötzlich eine gewaltige Explosion, die den Höhlenboden erzittern lässt. Aus dem Augenwinkel erkenne ich einen mächtigen Stalaktiten, dick wie eine Eiche, der nur einen halben Meter neben uns pfeifend zu Boden rauscht. Wieder erbebt der Boden und das Geräusch von berstendem Gestein erfüllt die riesige Grotte. Im nächsten Augenblick fallen wir auch schon.

Der fein geschliffene Fels zu unseren Füßen scheint sich nach den Millionen von Jahren in denen er stur und klaglos seinen Dienst als tragender Höhlenboden ausgeführt hat, erzürnt über die Frechheit des Stalaktiten einfach so von der Decke zu fallen, auf einmal nach dem Ruhestand zu sehnen. Ächzend und knirschend gibt das uralte Gestein unter den mächtigen Beinen des SCHREDDERS nach und wir stürzen in pechschwarze Tiefen.

Für einen kurzen, wundervollen Moment fühle ich mich schwerelos. Verdutzt erwidere ich den stechenden Blick des Königs der Edelsteine, der mich böse anstarrt, bevor er abrupt aus meinem Blickfeld gerissen wird.

Einige schrecklich lange Sekunden später raubt die Wucht des gewaltigen Aufpralls mir beinahe die Sinne. Stahl trifft kreischend auf scharfkantigen Fels. Steine bersten knirschend. Sämtliche Luft wird aus meinen beiden Lungenflügeln gepresst, sodass mein Atem für einige Augenblicke versagt.

Dann ist alles totenstill und schwarz.

Stöhnend löse ich den Gurt um meinen Brustkorb, der mich noch immer fest mit meinem Sitz verbindet. Sofort falle ich seitlich gegen die Wand des stockfinsteren Cockpits und zertrümmere dabei einen der großen Flachbildschirme. Offensichtlich liegen wir auf der Seite.

Mein Kopf dröhnt so heftig als hätte ein wildgewordener Zyklop ihn als Dschungeltrommel missbraucht. Es dauert einige Momente, bis sich die verschwommenen Umrisse um mich herum wieder zu klaren Formen zusammenfügen.

»Aua‹‹, vernehme ich plötzlich eine kleine, piepsige Stimme. Sie hört sich seltsam gedämpft an. Erst jetzt fällt mir der stechende Schmerz an meiner rechten Seite auf.

Mühsam hebe ich meinen bleischweren Körper an. Darunter kommt ein wenig zerkratzt aber wohlauf das kleine Mineral zum Vorschein, welches vorher auf meinem Schoß gesessen war.

»Danke‹‹, schnieft der Kiesling und hüpft mit kleinen Sprüngen in die Freiheit.

Doch meine Aufmerksamkeit gilt bereits wieder der alles verschlingenden Dunkelheit um mich herum. Was ist mit meinen Freunden? Haben sie den Sturz ebenso glimpflich überstanden, wie ich? Meine Gedanken wandern zu Clara und auf einmal erscheint mir die atemlose Stille im Cockpit wie ein schreckliches Folterinstrument.

»Nik?‹‹, reißt mich plötzlich eine wunderbar vertraute Stimme aus meinen fürchterlichen Gedanken. Sofort erfüllt mich eine Flutwelle neuer Kraft, ich setze mich auf und mir fällt ein Stein vom Herzen. Der Stein landet mit einem piepsigen Autsch! neben mir auf dem Boden, der einmal eine Wand war.

»Clara, geht es dir gut?‹‹, frage ich aufgeregt zurück in die Finsternis.

»Ja, hab nur ein paar Kratzer abbekommen‹‹, erwidert sie und einen Wimpernschlag später spüre ich ihren warmen Atem direkt neben meinem Gesicht, »Was ist mit Thorsten und Torben?‹‹

»Wir lassen uns nicht so leicht umbringen‹‹, ertönt Torbens gepresste Stimme irgendwo in der Dunkelheit hinter uns und wieder wird mir leichter ums Herz.

»Ich hab einen Kieselstein im Auge‹‹, jammert Thorsten unterdessen.

»Und ich hab dein Auge im Auge!‹‹, erwidert eine piepsige Stimme entrüstet.

»Bei den sieben Moorhexen, geh verdammt nochmal einfach raus aus meinem Gesicht‹‹, meckert Thorsten aufgebracht. Und kurze Zeit später: »Danke!‹‹

»Scheint, als wären wir alle wohlauf‹‹, meint Clara mit einem Seufzen, »Es hätte schlimmer kommen können.‹‹

»Aber was ist mit Vater Fels und den anderen?‹‹, quiekt plötzlich ein dünnes Stimmchen aus der Dunkelheit neben uns, »Sie sind nicht in einem gepanzerten Stahlroboter in die Tiefe gestürzt.‹‹

»Dem alten Granitbrocken wird es schon gut gehen‹‹, versuche ich den verängstigten Kiesling zu beruhigen, »Du kennst ihn doch. Du weißt, aus welchem Stein er gemeißelt ist.‹‹

Der Kiesling schnieft und ich höre seine kleinen, tapsigen Hüpfer neben mir: »Aber was, wenn die Edelsteinlinge uns jetzt holen kommen? Wir haben keine Chance gegen sie! Sie werden uns zu Feinstaub zermahlen und draußen in der prallen Sonne verstreuen!‹‹

Der kleine Kiesel beginnt herzergreifend zu weinen. Es ist kein besonders schönes, kein melodisches Schluchzen, wie das einer entführten Prinzessin. Es fließen auch keine Tränen dabei, denn Kieselsteine haben keinen Tropfen Flüssigkeit in sich. Doch trotz alldem erfasst mich der Gefühlsausbruch des kleinen, verzweifelten Minerals mit all seiner Traurigkeit.

Ich spüre bereits, wie heiße Tränenflüssigkeit in meinem Kopf aufsteigt und sich um meine Augäpfel versammelt. Ich blinzele einige erste, salzige Wasserperlen weg, als auf einmal auch die anderen Kieslinge im Cockpit in das Schluchzen einfallen. Das knirschende Lied der trauernden Gesteine erfüllt die zitternde Luft und im nächsten Moment wird mein eigener Körper ohne Vorwarnung von der geballten Wucht der Emotionen gepackt.

Sturzbäche salziger Tränen fallen mir vom Gesicht und tropfen auf meine Hose. Mehrmals wird mein ganzer Leib von dem heftigen Heulkrampf durchgeschüttelt, Schauder laufen bebend im Sekundentakt über meinen Rücken. Neben mir ergeht es Clara ganz ähnlich. Wir geben uns ganz unserer Trauer hin, fallen uns in die Arme, während feuchte Verzweiflung unsere Haare verklebt.

Nun ist es also soweit. Wir befinden uns inmitten einer gigantischen Höhle, bewohnt von bösartigen, lebenden Edelsteinen, die uns nach dem Leben trachten. Völlig auf uns allein gestellt und von jeder Hoffnung verlassen. Unser Kampfroboter schmiegt sich zerschmettert und gebrochen an das Jahrtausende alte Gestein und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis entweder Hunger und Durst oder die Herrscher über diese Grotte uns dahinraffen werden.

In diesem Augenblick der tiefsten Verzweiflung schließe ich mit dem Gedanken Freundschaft, dass ich nie wieder das warme Licht der Sonne erblicken, nie wieder den Geruch von frisch gemähtem Gras auf der Zunge schmecken und nie wieder meinen wahren Namen hören werde. All das ist nun vorbei.

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