11. Kapitel - Auf Pumukeljagd | CrayZ
- Tim J. R. Ufer

- 19. Juli 2021
- 6 Min. Lesezeit
Der Regen peitscht mir hart ins Gesicht, doch ich spüre keinen Schmerz mehr. Mein Körper ist taub vor Kälte und klitschnass. Kraftlos und erschöpft stehe ich da.
In meiner rechten Hand halte ich Ryu Kasai, mein blutrotes Samuraischwert fest umklammert. Es ist das Einzige, das mir noch geblieben ist. Wie in Trance sehe ich dabei zu, wie der Regen nach und nach das frische Blut von meiner Klinge spült. Ein Wassertropfen landet genau auf dem Auge des eingravierten Drachen und kullert von dort aus den Stahl hinab. Anders als bisher ist das Metall jetzt allerdings nicht mehr glühend heiß. Der Stahl liegt kalt und leblos in meiner Hand. Das innere Feuer, die pulsierende Energie, welche früher von dem Schwert ausgegangen war, ist verschwunden.
Stumm lasse ich meinen Blick über das Schlachtfeld schweifen. Der Boden ist mit Verwundeten und Leichen übersät. Das Stöhnen der Sterbenden wird von dem donnernden Grollen des Gewitters über mir weitestgehend verschluckt. Meine Augen bleiben für einige Momente an dem stählernen Dinosaurier haften. Oder zumindest an dem, was davon übrig ist. Die mächtigen schwarzen Stahlplatten sind größtenteils völlig verbogen. Der Unterkiefer des Monstrums liegt herausgebrochen auf der blutgetränkten Erde. Nur eine feine Rauchfahne, die aus dem Inneren der Maschine zum Himmel emporsteigt, verrät, dass dieser stählerne Koloss vor einigen Stunden noch voll einsatzfähig war.
Eine einzelne Träne läuft mir über das Gesicht, vermischt sich mit dem Blut und dem Schweiß auf meiner Wange und wird schließlich vom Regen abgewaschen. Ich habe alles verloren!
Ich konnte sie nicht retten! Wenn Clara jetzt noch nicht tot ist, dann wird sie es sicher bald sein. Drei dieser fürchterlichen Wesen haben sie gleichzeitig geschnappt. Noch immer sehe ich sie zappelnd und strampelnd vor mir. Wie sich gegen den eisernen Griff dieser Kreaturen wehrt. Auch jetzt kann ich noch ihre verzweifelten Schreie in meinen Ohren hören. Ihre vor Entsetzen geweiteten, smaragdgrünen Augen...
Sie hatte ein glückliches Leben. Bis sie dann ausgerechnet mich getroffen hat. Sie hätte noch so viel aus sich machen können. Aber ich musste sie ja unbedingt auf diese verfluchte Reise mitschleifen!
Ohne Vorwarnung knicken meine Beine ein und ich sacke kraftlos zu Boden. Mein Schwert rutscht mir aus der Hand und schon knie ich im Schlamm, drücke mit meiner rechten Hand auf die klaffende Wunde an meiner Seite, aus der noch immer frisches Blut strömt, während der Sturm wütend und tobend an meiner durchnässten Kleidung zerrt.
Sascha wird mir niemals verzeihen können. Ich habe mein Versprechen an ihn gebrochen. Clara wurde entführt, Thorsten und Thorben sind wie vom Erdboden verschluckt. Der Schwarze Tempel hat über uns gesiegt.
Taub vor Kälte und mit gebrochenem Willen verharre ich zwischen den Leichen und den Sterbenden, bereit mich meinem eigenen Tod zu ergeben.
4 Tage zuvor…
»Dann sehen wir doch mal, ob sich das Baby diesmal starten lässt.‹‹
Clara-Justine drückt auf den großen, roten Knopf auf dem riesigen Armaturenbrett, welches beinahe das gesamte Cockpit ausfüllt.
Nichts geschieht.
Clara runzelt die Stirn und beugt sich über die Steuerungskonsole des riesigen Metalldinosauriers.
»Sicher, dass das der richtige Knopf ist?‹‹, fragt sie mich nachdenklich.
»Das muss er sein‹‹, erwidere ich und betrachte unsicher die Bildschirme vor mir. In den Augen der stählernen Bestie und an einigen weiteren Stellen hat Sascha hochauflösende Kameras montiert, mit denen ich theoretisch unsere komplette Umgebung aus dem Bauch des Dinos heraus betrachten kann. Noch sind die Bildschirme aber schwarz.
Vor unserem ersten Startversuch mit dem SCHREDDER mussten wir das mächtige Gerät erst einmal betanken. Allerdings läuft der Metallkoloss, anders als normale Kampfroboter, nicht mit Benzin oder elektrischem Strom. Nein. Diese Höllenkreatur muss tatsächlich fressen, um seine Energiereserven aufzufüllen!
Wir haben also einen Großteil des Vormittags damit zugebracht, bis an die Zähne bewaffnet den Wald um Monheim herum zu durchforsten und Nahrung für den SCHREDDER zu besorgen. Nach einer gefühlten Ewigkeit haben wir endlich ein Rudel wilder Pumukel im Unterholz aufgestöbert. Eine kurze, aber spektakuläre Verfolgungsjagd später gelang es uns, fünf der kleinen Schlingel zu erlegen. Anschließend kam uns Saschas zahmer Riesenadler zur Hilfe und hat uns, zusammen mit unserer Beute, zurück zum großen schwarzen Turm gebracht.
Dann haben wir unsere Blechechse für schwere Kriegseinsätze mühsam zwangsernährt und nun versuchen wir schon seit einer halben Stunde das verdammte Ding endlich zu starten. Der mächtige Dinosaurier scheint von unseren bisherigen Versuchen allerdings wenig beeindruckt.
»Hast du den Knopf gedrückt, Schatz?‹‹, ruft Sascha. Er steht einige Meter unter uns, zu den Füßen der mächtigen Kreatur und blickt erwartungsvoll durch die geöffnete Luke zu uns herauf.
»Ja, Dad. Er will einfach nicht anspringen!‹‹, brüllt Clara zurück. Langsam verliert sie ihre Contenance. Wütend starrt sie auf den roten Knopf als könne sie ihn mit ihrer puren Willenskraft dazu bringen, doch noch zu funktionieren.
Auch ich werde langsam ungeduldig. Immer wieder muss ich an unseren merkwürdigen Verfolger denken, der vor zwei Nächten in Claras Wohnung eingedrungen ist. Wenn er uns noch immer jagt, dürfte er jetzt nicht mehr weit von uns entfernt sein.
Unwillkürlich fasse ich mit meiner rechten Hand neben mich, um sicherzugehen, dass mein Katana noch an meinem Sitz lehnt. Das Gefühl des mit feinem Leder umwickelten Griffes auf meiner Haut beruhigt mich ein wenig.
»Verdammte Scheiße!‹‹, ruft Clara zornig. Sie hat sich von ihrem Sitzplatz erhoben und stampft wütend mit dem Fuß auf den Boden.
»SPRING. JETZT. ENDLICH. AN!‹‹, brüllt sie den roten Knopf vor sich an und schlägt bei ihrem letzten Wort mit der Faust auf das Armaturenbrett.
Urplötzlich geht ein Ruck durch den mächtigen Körper des Dinosauriers.
Clara verstummt augenblicklich und hält inne. Für einige quälend lange Sekunden passiert überhaupt nichts. Dann starten auf einmal die Bildschirme vor meinen Augen.
»Es funktioniert!‹‹, rufe ich aufgeregt, »Wir sind online.‹‹
»Na endlich‹‹, grummelt Clara, kann sich dabei ein selbstgefälliges Lächeln aber nicht verkneifen. Schnell setzt sie sich wieder auf ihren Platz und drückt einige weitere Knöpfe.
Danach zieht Clara-Justine an einem großen Hebel zu ihrer Rechten und ein Donnern geht durch die riesige Waffenhalle. Der gigantische T-Rex macht einen Schritt nach hinten. Auf dem Bildschirm vor mir sehe ich, wie Sascha unter uns einen Freudentanz aufführt und uns ausgelassen zuwinkt. Dann läuft er voraus und bedeutet uns mit seinen Händen, ihm zu folgen.
Vorsichtig greift Clara ein weiteres Mal an den großen Steuerungshebel vor sich und drückt ihn sanft nach vorne. Langsam setzt sich der SCHREDDER in Bewegung. Bei jedem seiner Schritte erzittert der Boden unter uns. Immer wieder müssen wir anhalten und darauf warten, dass Sascha wieder einige Meter Vorsprung gewonnen hat. Obwohl wir uns nur im Schritttempo bewegen, holen wir Claras Vater immer wieder mit Leichtigkeit ein.
Wenige Augenblicke später erreichen wir auch schon das große Stahltor. Sascha betätigt unter uns einige Knöpfe an der Wand, die mächtigen Stahlplatten fahren auseinander und geben den größten Aufzug frei, den ich je in meinem Leben gesehen habe (Zugegeben: Ich kann mich auch an keine anderen Aufzüge erinnern).
Clara steuert den T-Rex behutsam nach vorne, bis wir perfekt im Fahrstuhl geparkt haben. Ihr Vater folgt uns vorsichtig. Dabei ist er sehr darauf bedacht, nicht versehentlich von dem mächtigen Schwanz der Kreatur erschlagen zu werden, der aus irgendeinem Grund dauerhaft leicht hin und her schwingt. Mit einem Krachen schlägt hinter uns die Aufzugtür zu und wir gleiten sanft nach unten.
»Noch ist es nicht zu spät, um hier zu bleiben‹‹, versucht Sascha ein letztes Mal unsere Meinung zu ändern. An dem Klang in seiner Stimme merke ich jedoch, dass er die Hoffnung bereits aufgegeben hat.
Wir haben den Aufzug bereits wieder verlassen und stehen nun vor dem riesigen schwarzen Turm. Claras Miene ist unergründlich. Stumm hält sie dem flehenden Blick ihres Vaters stand.
»Sobald wir unterwegs sind, ist sie mir auf jeden Fall noch die ein oder andere Erklärung schuldig‹‹, denke ich, »Zum Beispiel warum sie unbedingt gegen den Willen ihres Vaters zu diesem Tempel will.‹‹
Es ist mir unangenehm, dass ich im Moment der Grund dafür bin, dass Sascha nach seiner Frau nun vielleicht auch noch seine Tochter an diesen schrecklichen Ort verliert. Noch immer habe ich mich nicht getraut zu fragen, was damals eigentlich geschehen ist.
Claras Vater gibt sich offensichtlich alle Mühe, nicht die Fassung zu verlieren. Doch als er seine Tochter zum Abschied umarmt und ihr einen Kuss auf die Stirn drückt, sehe ich, wie eine einzelne Träne über seine Wange kullert.
»Mit dem SCHREDDER wird uns schon nichts passieren‹‹, meint Clara sanft als sich die beiden wieder voneinander lösen. Sascha nickt, aber in seinen Augen glänzt die Angst wie ein fein geschliffener Diamant. Als Clara sich schließlich von ihrem Vater abwendet, treffen sich für einen Moment unsere Blicke. Ich sehe das Feuer der Entschlossenheit in ihren Augen brennen. Aber da ist auch noch etwas anderes in ihrem Ausdruck. Leider kann ich es nicht ganz deuten.
Ohne ein weiteres Wort zu sagen, geht Clara zum Fuße des gewaltigen Stahldinosauriers und klettert geschickt ins Cockpit.
»Versprich mir, dass du sie mir heil zurückbringen wirst‹‹, sagt Sascha ernst und legt mir eine Hand auf die Schulter. Dabei schaut er mir einige Momente lang tief in die Augen. Sofort spüre ich, wie nicht mehr nur das Gewicht der Hand, sondern auch die unendliche Last der Verantwortung auf meinen Schultern lastet.
»Das werde ich‹‹, erwidere ich bedrückt, aber mit fester Stimme und erwidere den Blick. Sascha nickt und dann lächelt er wieder. Ich meine sogar einen Anflug von Stolz in seinem Ausdruck zu lesen.
»Dann mal los. Bevor meine Tochter noch ohne dich aufbricht!‹‹
Wir müssen beide Schmunzeln und ich hebe ein letztes Mal meine Hand zu Abschiedsgruß. Dann drehe ich mich um und klettere in den Bauch der stählernen Bestie. Hinter mir schlägt die Einstiegsluke krachend zu.
»Es kann losgehen‹‹, sage ich, nachdem ich mich auf meinen Sitzplatz begeben und meine Sitzgurte festgezogen habe. Erwartungsvoll schaue ich zu Clara herüber. Überrascht sehe ich, wie sie sich gerade noch flüchtig eine Träne aus dem Gesicht wischt.
»Let‘s get this party started!‹‹, meint Clara und drückt den Steuerknüppel nach vorne.

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