1. Kapitel - Kopfschmerzen und ein Hamster | CrayZ
- Tim J. R. Ufer

- 14. Juli 2021
- 4 Min. Lesezeit
Ich schwebe durch einen dunklen Raum. Alles um mich herum ist schwarz. Nur hier und da ziehen ein paar graue Dunstschwaden an mir vorbei, streifen sanft meine Haut. Ich spüre ein Prickeln im Gesicht.
Ich versuche, irgendwo in der Düsternis den Boden auszumachen. Aber da ist keiner. Nur dicker, pechschwarzer Nebel. Er umschließt mich. Hält mich gefangen.
Plötzlich steigt ein Anflug von Panik in mir auf. Ich kann meine Gliedmaßen nicht bewegen! Meine Arme und Beine sind wie bleierne Gewichte, die schwer und gefühllos an mir herunterhängen. Ich möchte schreien. Doch kein Geräusch dringt aus meiner Kehle.
Dann sehe ich den Grund. Er rast auf mich zu. Sehr schnell! Ich reiße die Augen auf!
Mit einem Mal bin ich hellwach. Ich merke, wie ich am ganzen Leib zittre. Langsam reibe ich mir die Augen und richte mich auf. Dabei rutscht etwas aus meiner rechten Hand.
Verwirrt blicke ich an meinem Arm hinab und betrachte das langgezogene Samuraischwert, welches neben mir auf dem toten Stein liegt. Vorsichtig und mit schwitzigen Händen greife ich zu dem elegant geschmiedeten Katana und ziehe es ein Stück weit aus seiner Scheide. Die Klinge ist blutrot und strahlt eine seltsam vertraute, pulsierende Energie aus. Bei genauerem Hinsehen erkenne ich die Ausläufer eines Drachen, welcher kunstvoll in den roten Stahl eingearbeitet wurde.
Auf einmal schießt ein sengender Schmerz durch meine linke Brust. Unwillkürlich zucke ich zusammen. Im nächsten Moment ist er auch schon wieder verschwunden. Argwöhnisch betrachte ich den Drachen, der mir plötzlich seltsam bekannt vorkommt.
Erst überlege ich, das Schwert einfach liegen zu lassen, doch schließlich übermannt mich die Neugier und ich nehme das tödliche Werkzeug behutsam in die Hand. Die Klinge ist perfekt ausbalanciert, der Griff mit weichem Leder umwickelt, welches sich angenehm warm an meine Handinnenfläche schmiegt.
Andächtig ziehe ich das Katana vollständig aus seiner Scheide und betrachte den blutroten Stahl in seiner ganzen Pracht. Jetzt erst kann ich das volle Ausmaß der kunstvoll in die Klinge eingearbeiteten Gravierungen erkennen. Neben dem mächtigen Drachen, der mich mit ausgebreiteten Schwingen und aufgerissenem Maul kampfeslustig anstarrt, ziehen sich hunderte fein geschwungene Linien über die gesamte Klinge, die gemeinsam ein tobendes Flammenmeer bilden.
»Ryu kasai‹‹, murmele ich gedankenverloren, ohne zu wissen, woher ich den Namen des Schwertes kenne, und streiche sanft über das blutrote Metall. Die Klinge ist erstaunlich warm, als hätte sie jemand eine Zeit lang ins Feuer gehalten. Nachdenklich schiebe ich das Schwert zurück in seine Scheide und nehme nun endlich meine Umgebung in Augenschein.
Ich befinde mich inmitten einer kargen Steinwüste. Über mir steht die Sonne hoch am Himmel. Die Sonnenstrahlen fallen warm auf mein Gesicht und verursachen ein sanftes Prickeln. Doch irgendwas stimmt mit dem Himmel über mir nicht. Er ist nicht blau. Und ich sehe auch keine Wolken. Der Himmel ist von einem satten, dunklen violett. Staunend stehe ich auf und drehe mich um meine eigene Achse. Dabei behalte ich den Kopf weiterhin tief im Nacken und starre nach oben. Obwohl es Mittag ist, kann ich hier und da schwach ein paar Sterne durchschimmern sehen.
Ich versuche mich zu erinnern, wie ich hierher gelangt bin. Aber da ist nichts. Nur ein dumpfes Pochen an meiner linken Schläfe, welches aufkommende Kopfschmerzen ankündigt. Meine Kehle ist wie ausgedörrt, ich brauche dringend Wasser. Suchend blicke ich mich um.
Erst jetzt wird mir langsam klar, wie ernst meine derzeitige Lage eigentlich ist.
»Fassen wir einmal zusammen‹‹, murmele ich zu mir selbst. Meine eigene Stimme klingt kratzig und fremd, aber trotzdem beruhigt es mich, wenigstens irgendein Geräusch, außer dem meines eigenen pochenden Herzschlages zu hören.
»Ich stehe mitten in einer Steinwüste auf einem fremden Planeten, habe keine Erinnerungen mehr daran, wie ich hierhergekommen bin und werde den morgigen Tag wahrscheinlich nicht mehr erleben, wenn ich nicht bald etwas zu trinken finde‹‹, bringe meine Situation ziemlich akkurat auf den Punkt. Augenblicklich fühle ich mich noch beschissener als zuvor.
In diesem Moment fällt mir außerdem noch ein weiteres, beunruhigendes Detail auf, was bereits nach wenigen Sekunden anfängt, mich in den Wahnsinn zu treiben. Ich habe nicht nur vergessen, wie ich hierhergekommen bin. Ich habe ausnahmslos alles vergessen! Ich kann mich nicht einmal mehr an meinen eigenen Vornamen erinnern.
Ich beginne damit, mich schneller und schneller im Kreis zu drehen und stampfe dabei mit den Füßen frustriert auf den Boden. Ich fasse mir an den Kopf, zerwühle mein halblanges, strohblondes Haar und schreie den violetten Himmel an.
Ich bin so mit meiner eigenen Verzweiflung beschäftigt, dass mir beinahe entgeht, wie sich ein kleines, haariges Geschöpf langsam meinen Füßen nähert.
Sofort halte ich inne. Ich lasse die Arme sinken und starre irritiert auf den braun-weißen, flauschigen Fleck direkt vor mir. Der Hamster mustert mich einige Sekunden lang interessiert, dann macht er ein paar routinierte Kaubewegungen, dreht auf dem Absatz um und flitzt davon.
Entgeistert blicke ich dem Tier einen Moment lang nur blöde hinterher. Hatte der Hamster da gerade einen Helm auf und ein Bündel Seile auf dem Rücken?
Vor meinem inneren Auge erscheint eine fettgedruckte Fehlermeldung: ERROR.
Für einige Sekunden bin ich zu verwirrt, um zu denken. Dann wird mir klar, dass dieses kleine Geschöpf vielleicht meine einzige Hoffnung darauf ist, Wasser und Nahrung zu finden. Ohne noch weiter zu zögern, hebe ich das blutrote Schwert vom Boden auf und laufe los.

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